Von Neujahrsvorsätzen und Wutanfällen
„Und, bist du gut reingekommen?“ „Guten Rutsch, aber fall nicht hin!“ „Was sind denn deine Vorsätze?“ “Neues Jahr – neue Chance! Heute ist Seite 1 von 365.”
Ich möchte jedes Mal laut schreien und toben, wenn ich einen der genannten Sätze höre. Diese Sache mit dem neuen Kalenderjahr, ich werde sie wohl nie verstehen. Wie soll ich in ein Jahr reinkommen oder -rutschen? Ist das ein Prozess, den ich aktiv vollführen muss? Benötige ich dafür einen Schlitten oder einen Schlüssel?
Als Kind fand ich Silvester toll. Das hatte mehrere Gründe. Zum einen haben wir als Familie Fondue gemacht. Zum anderen durfte ich lange wach bleiben. Als Jugendliche war es schließlich nur ein Grund mehr, um Freunde zu treffen und zu feiern. Aber, wenn ich ehrlich bin, sind mir diese Feiern meist negativ im Gedächtnis geblieben. Es fing schon Wochen vorher an, dass man nicht wusste, wo und mit wem man feiern möchte. Zickereien innerhalb der Clique waren da nicht ausgeschlossen. Auf der Feier gab es immer mindestens eine Person, die es mit dem Alkohol übertrieben hat, eine, die früher heimgegangen ist und eine, die geweint hat. Drama, Drama, und für was? Eben.
Natürlich habe auch ich mir jedes Jahr aufs Neue Vorsätze für das kommende Jahr aufgeschrieben. Mehr Sport, vielleicht etwas abnehmen, besser in der Schule/der Uni sein, mehr dies und weniger das. Was ich am Ende des Jahres davon abhaken konnte? Reden wir nicht darüber. Vielleicht funktioniert das ja bei einigen mit der Neujahrsmotivation. Vielleicht setzen manche alle ihre Vorsätze um und brauchen einfach dieses Datum, diesen „Neustart“, um ihre Ziele und Träume anzugehen. Bei mir funktioniert das nicht.
Ich verstehe nicht, warum mich ein gesellschaftliches Konstrukt auf „Neubeginn“ setzen möchte. Ist in meinem Leben jetzt alles anders, weil der gregorianische Kalender mir eine neue Zahl anzeigt? Nein! Darf ich erst am 1. Januar mit Sport anfangen und aufhören zu rauchen? Nein! Für mich ist das ein Aufschieben von Gründen. Wenn ich etwas will, dann beginne ich sofort damit. Und dann ist es am Ende vollkommen egal an welchem Datum.
Ebenso verstehe ich nicht, warum man mich fragt, ob ich gut ins neue Jahr gekommen sei. Als ob das ein Prozess sei, an dem ich mich aktiv beteiligen musste. Und was sage ich überhaupt, wenn ich nicht „gut reingekommen“ bin? „Nein, ich bin um genau 0 Uhr in einen Nagel getreten und hatte in der Wohnung einen Wasserrohrbruch. Deswegen wird das Jahr jetzt sicher ganz schrecklich.“ Oder ist die Art, wie ich den Silvesterabend gestalte etwa bezeichnend für meinen Charakter oder mein kommendes Jahr? Wenn ich um 23 Uhr geschlafen habe, bin ich also langweilig und werde ein ereignisloses Jahr haben?
Ich werde mit dem Theater um Silvester und Neujahr wohl nicht mehr warm, muss ich aber auch nicht. Für dieses Mal bin ich froh, dass das Thema erstmal vom Tisch ist, ich offensichtlich ganz gut ins neue Jahr reingekommen bin und meine Wutanfälle bezüglich des Themas überstanden habe. Ausgerutscht bin ich auch nicht, also kann ich mich voller Tatendrang um die 366 (Schaltjahr!) Seiten kümmern, die mit Abenteuern befüllt werden wollen.