Erschreckend gefühlvoll: Her
Was kann man von einem Film erwarten, der gleichzeitig den Genres Drama, Romanze und Science Fiction zugeordnet werden kann? Was erwartet man von einem Film, in dem die weibliche Hauptrolle einzig als Stimme in Erscheinung tritt?
Ich kann nur für mich sprechen: Ich bin nahezu ohne Erwartungen in diesen Film gegangen, aber war unglaublich gespannt darauf, wie er davon erzählt, dass sich ein Mensch in sein Betriebssystem verliebt.
Der Schauspieler Joaquín Phoenix wächst in diesem Film über sich hinaus und beeindruckt den Zuschauer als häufig allein auftretender Protagonist. Er verkörpert Theodore Twombly, einen romantischen Helden, der in einer Zeit, in der Bücher nicht mehr gedruckt und Briefe nicht mehr geschrieben werden, seinen Traum vom Schriftstellerdasein dennoch zu verwirklichen sucht. Er ist Autor ‚persönlicher’ und ‚handgeschriebener’ Briefe, auf die in der fiktiven hypermodernen Zukunftswelt immer noch Wert gelegt wird. Warum, fragt man sich, imitiert ein Computer Handschriften, wenn alles andere doch auch nur in digitaler Form erscheint?
Dies ist nur einer der auffälligen Gegensätze in Spike Jonzes grandiosem Film über Liebe, Einsamkeit und die erschreckend nah liegende Zukunftsvision einer Welt, in der Technik und Mensch symbiotisch verbunden sind. Bewusst stellt der Regisseur altmodisch gegen modern. Die Kleidung in Her erinnert an die 1970er Jahre, Männer am Strand tragen Badeanzüge, ähnlich denen Anfang des 20. Jahrhunderts, und Theodore richtet immer wieder unbeholfen seine große altmodische Brille.
Der Schauplatz dagegen wurde in ein durch Luftverschmutzung verhangenes, unwirklich anmutendes Los Angeles versetzt, in dem niemand mehr mit seinem Gegenüber, sondern jeder nur noch mit seinem Betriebssystem kommuniziert. Der Knopf im Ohr ist selbstverständlich. Und so laufen die Menschen durch ihren Alltag, ohne auch nur einen Hauch Aufmerksamkeit auf ihr reales Umfeld zu legen – genau so, wie wir es auch heute schon in Städten wie Berlin oder Hamburg beobachten können: Immer mehr Menschen begegnen uns dort entweder mit Musik auf den Ohren oder einem Telefon irgendwo versteckt am Körper. Erschreckend realitätsnah scheint Jonzes Vision in solchen Momenten.
In diesem Umfeld der Vereinzelung des Menschen erzählt Her eine Liebesgeschichte, die Liebesgeschichte zwischen Theodore und seinem Betriebssystem. Samantha, im Original gesprochen von Scarlett Johansson, ist das Pendant zu Siri, dem Spracherkennungssystem eines Konzerns, der sich durch einen angebissenen Apfel präsentiert. Die präzisen Antworten, die einem das Programm namens Siri gibt, bereiten einem schon ein mulmiges Gefühl, bei Samantha wird dieser Zustand noch gravierender. Das individuell auf Theodore abgestimmte Betriebssystem entwickelt ein eigenes Bewusstsein und mit der Zeit auch Gefühle – ‚sie’ verliebt sich in ihn, er verliebt sich in ‚sie’. Eine klassische Liebesgeschichte eben.
Frisch getrennt von seiner Ehefrau sehnt der einsame Theodore sich nach Zweisamkeit. Diese findet er in den Gesprächen mit Samantha. Als Zuschauer ist man hin- und hergerissen zwischen Abscheu und Mitgefühl. Man vergisst teilweise, dass es sich bei Samantha schlichtweg um ein Betriebssystem handelt und könnte hin und wieder sogar vor Rührung weinen. Joaquín Phoenix setzt die Rolle des einsamen Romantikers, verloren in einer Welt voll von Anonymität und Technik, so glänzend um, dass man ihm die ganze Zeit wünscht, Samantha würde plötzlich real und die beiden könnten tatsächlich glücklich werden. Dieser Wunsch ist selbstverständlich aussichtslos. Mehr als durch Mikrofon und Kamera können die beiden nicht kommunizieren.
Die Perversion scheint für den Zuschauer ins Ultimatum getrieben, als Samantha der Telefonsex mit ‚ihrem Liebsten’ nicht mehr genügt und sie eine menschliche Frau dazwischen schaltet: Der menschliche Avatar fungiert, mit Kamera in Form einer Schönheitswarze und Knopf im Ohr bewaffnet, als Körper Samanthas, mit dem Theodore schlafen soll. Der Versuch scheitert und ein glückliches Ende bleibt aussichtslos. Samantha begleitet ihn weiterhin nur durch das Telefon, mit einer Sicherheitsnadel befestigt in seiner Hemdtasche.
Theodores Freunde sehen keine Schwierigkeit darin, dass er eine Beziehung mit seinem Betriebssystem führt, sie verabreden sich sogar mit ihm und seiner ‚Freundin’, als wäre nichts normaler in dieser Welt, die hoffentlich nie real werden wird.
So romantisch und rührend der Film teilweise ist, so sehr schreckt er (hoffentlich) auch ab – der Mensch ist nicht dafür gemacht, allein von der Technik regiert zu werden. Gefühle sollten menschlich bleiben und Gespräche von Mensch zu Mensch stattfinden.