New York (Teil III)
Wir fühlen uns wie in ‚good old England’, als wir Edgar Allan Poes letzten Wohnort in der Bronx betreten, der heute noch als kleines Museum erhalten ist – auch wenn der Weg hierher nicht unbedingt Lust auf diesen Stadtteil machte. Wir stehen am Grand Concourse und entdecken das kleine weiße Häuschen zum Glück sehr schnell. Ein warmherziger Brite empfängt uns und wir tauchen ein in die Welt der Literatur und der Kultur und finden nach den anstrengenden Tagen im Großstadtdschungel endlich mal eines: Ruhe.
Auch wenn das Poe Cottage genau genommen nur aus drei Räumen besteht, macht der belesene Brite im selbst entworfenen ‚The-Raven-Shirt’ selbst die kleine Hütte zu einem großen Erlebnis. Ob Poe-Leser oder nicht, wir erfahren soviel Neues und Spannendes über den Horror- und Kurzgeschichtenschreiber und Dichter und sind begeistert über den Einblick ins Leben des 19. Jahrhunderts, den wir hier gewinnen. Zum Glück fällt mir zum Schluss doch noch meine Lieblingsgeschichte ein und ich kriege die passende Postkarte zu „Der Untergang des Hauses Usher“ vom netten Museumsleiter geschenkt.
Wir verlassen den nördlichsten Bezirk New Yorks gern wieder, auch wenn er ganz bestimmt nur in den Medien den schlechte Ruf als Hort der Kriminalität hat, und stürzen uns auf den Central Park. Der spielt die Hauptrolle in Woody Allens Film „Manhattan“, zu dem der Regisseur selbst sagt: „Als ich ‚Manhattan’ drehte, war ich sehr selektiv. Ich habe eine Sicht der Stadt gezeigt, wie ich sie gerne hätte und wie sie heute sein kann, wenn man sich die Mühe macht, durch die richtigen Straßen zu gehen.“ Wählt man die Straßen um und durch den Central Park, ist man auf jeden Fall auf der sicheren Seite. Der 3,6 Quadratkilometer große Park nimmt sechs Prozent der Fläche Manhattans ein und bietet das wohl schönste und beeindruckendste Naherholungsgebiet, das man sich vorstellen kann. Wo genau unser Rundgang durch den Park langgehen soll, ist uns noch nicht ganz klar, als wir am Columbus Circle aus der U-Bahn steigen, eine Kutschfahrt können wir uns aber beim besten Willen nicht leisten. Wir marschieren also wild drauf los und merken bald, welche Weite sich vor uns auftut – der Central Park ist einfach riesig! Wir passieren den Weg der Literaten mit Statuen der britischen Dichter Robert Burns, Sir Walter Scott und natürlich: William Shakespeare, halten an, um der unterhaltsamen Jazzmusik oder dem Orchester auf der Freiluftbühne zu lauschen und hören kurz vor dem Engelsbrunnen, dem Herzstück des Parks, unter einer Brücke Gänsehaut bringende Gospelgesänge. Ein bisschen Gänsehaut bekommen wir auch, als wir vom Park aus das Dakota Haus sehen. Am 8. Dezember 1980 wurde hier John Lennon von seinem manischen Anbeter Mark David Chapman erschossen. Dessen Bewunderung schlug damals in Hass um, als der Musiker eine Äußerung wagte, in welcher er die Beatles über Jesus stellte. Am Nachmittag bat der damals 25-Jährige sein früheres Idol noch um ein Autogramm, am Abend erschoss er Lennon mit fünf Kugeln. Chapman versuchte nicht zu flüchten, sondern blieb, Salingers Roman „Der Fänger im Roggen“ lesend, vor dem Dakota Haus sitzen und ließ sich ohne Widerwillen festnehmen. Yoko Ono wohnt heute immer noch in diesem Haus, im Central Park hat sie eine Gedenkstätte namens Strawberry Fields anlegen lassen, zu der auch das Imagine-Denkmal gehört, an dem Anhänger heute noch Blumen niederlegen. John Lennon über die Stadt, die ihn das leben kostete: „Es war Yoko, die mir New York nahegebracht hat. Sie hat hier schon gelebt, als ich noch sehr arm war und kennt jeden Winkel. Ich bin mit ihr zusammen durch die Straßen und Parks gewandert und habe mir alles genau angesehen. Man könnte sagen: Ich habe mich in New York an einer Straßenecke verliebt.“
Auch wenn wir noch längst nicht alles in New York gesehen haben, steht ein Ausflug trotzdem fest auf dem Programm: Wir fahren mit dem Zug nach Washington, um uns die Hauptstadt anzuschauen und weil zufällig die von mir sehr verehrte Amanda Palmer an diesem Abend im Lincoln Theater eines ihrer letzten Konzerte geben wird. Washington empfängt uns sonnig und wunderschön, die plötzliche Ruhe und die flachen Bauten wirken nach so viel Großstadtdschungel unglaublich entspannend. Der Hauptbahnhof beeindruckt uns unter anderem mit seinen architektonischen Zügen des Konstantinbogens in Rom. Das Capitol ist leider im Bau, aber während wir von dort aus die „Mall“ entlang auf das Washington-Denkmal zulaufen, fühlen wir uns wie im Film – irgendwo hat man das alles schon einmal gesehen und nun ist man selbst hier, dieses Gefühl ist fester Bestandteil der gesamten Reise und lässt uns immer wieder mit großen Augen und offenem Mund umherwandern. Das nationale Denkmal zum Zweiten Weltkrieg ist überraschend prunkvoll und es erschreckt uns, wie lachend Fotos vor ihm gemacht werden – wahrscheinlich haben wir doch einen anderen Bezug … Wir schaffen es fußläufig nicht ganz bis zum Lincoln-Denkmal, denn das Weiße Haus müssen wir natürlich noch sehen, bevor das Lincoln Theater schon seine Türen für uns öffnet. In wunderschöner und historisch bedeutsamer Kulisse tritt eine der großartigsten Sängerinnen auf und damit ist der Höhepunkt unserer Reise, der ganz zufällig auch noch auf meinen Geburtstag fällt, erreicht. Auch wenn wir einsehen müssen, dass das amerikanische Publikum einen anderen Humor zu haben scheint als wir, genießen wir diesen Abend in vollen Zügen, bevor es wieder zurück geht nach New York. Im Sonnenaufgang fahren wir auf die imposante Silhouette der Stadt zu, es folgt eine Taxifahrt durchs menschenleere Manhattan am Ostersonntag um sieben Uhr morgens, ein seltenes Bild, das wir so schnell nicht wieder vergessen werden.
Viel haben wir in der einen Woche gesehen, aber natürlich noch längst nicht alles, was es zu sehen gibt, deswegen heißt es auch diesmal unbedingt: wiederkommen!