„Die Grammatik der Rennpferde“

Buchtipp

“Brauch ich Lehrer für Deutsch. Bitte anrufen mir“, so lautet die Zeitungsannonce, auf die sich Sprachdozentin Salli Sturm meldet und die ihr Leben auf den Kopf stellt. Zuvor hat sie in einem Sprachinstitut ausländischen Schülern – erfolgreich – Deutsch beigebracht. Salli ist fest davon überzeugt, jeden Sprachmuffel für die deutsche Sprache begeistern zu können. Die Liebe zur deutschen Sprache ist schon mal vorhanden, die fehlende Liebe eines Partners macht der 52-Jährigen jedoch zu schaffen – noch. Denn der Verfasser der Zeitungsannonce sorgt für einige Überraschungen. Angelika Jodl zeigt, wie die Grammatik zum Steckenpferd wird…

Wie viel Grammatik braucht das Leben? Sallis didaktische Fähigkeiten sind beliebt, ihre unkonventionellen Methoden machen selbst aus den unbegabtesten Schülern fleißige Sprachgenies. Kasus, Tempus und Syntax: Alles ist logisch aufgebaut, folgt einer bestimmten Struktur und unterliegt Regeln. So sollte, nach Sallis Vorstellung, auch das Leben funktionieren, doch es kommt eben immer anders als man denkt. Auch, wenn Salli glaubt, das Leben sei bereits an ihr vorbei marschiert, schöpft sie neuen Mut, als sie auf die Anzeige einer Person antwortet, die Deutschunterricht benötigt. Diese Person heißt Sergey. Sergey ist Russe, arbeitet als Stallbursche und war einst Jockey. Artikel sind ihm fremd und Verben eh eine heikle Sache! Mit einem eigens erfundenen Konjugationssystem fasst er den Entschluss, den Deutschunterricht zweitrangig zu betrachten und dafür die Deutschlehrerin als Mittel und Zweck zum Kauf von Hof und Pferd zu nutzen. Auch Salli verfolgt ihren eigenen Plan: Sie verheimlicht ihrem Schüler, dass er ihr als Proband für ein wissenschaftliches Projekt dient. Auf den ersten Blick haben beide nicht viel gemeinsam, doch plötzlich wird die Hierarchie von Lehrer und Lerner aufgehoben. Nicht nur Sergey lernt etwas von Salli, sondern auch Salli muss in Sergey ihren Lehrmeister in Sachen Pferde und auch in Sachen Liebe anerkennen.
Wer zunächst an eine kitschige Liebesgeschichte denkt, wird schnell enttäuscht, denn mit Kitsch hat dieses Buch wenig zu tun. Der Roman löst sich von Klischees, glänzt durch Fachkompetenz in Sachen Sprache und räumt mit vielen Vorurteilen auf. Mit Klugheit und Witz werden die Tücken der deutschen Sprache aufgezeigt. Auf der einen Seite wird nebenher klar, wie schwer Deutsch für Lernende ist, auf der anderen Seite wird auch deutlich, wie viel Spaß man an der Sprache haben kann. Die vielen Wortspiele und die seltsame Beziehung der Protagonistin zur deutschen Grammatik tragen zur Unterhaltung bei. Dadurch, dass die Autorin selbst Deutsch als Fremdsprache unterrichtet, glänzt sie durch einen ausdrucksstarken, bildhaften und sprachgewaltigen Schreibstil. Unsentimental und doch unterhaltsam wird die (Liebes-)Geschichte zweier Menschen aus unterschiedlichen Kulturen erzählt, die zunächst nichts miteinander gemein- aber zum Glück miteinander zu tun haben.
“Gibt Rede bei uns in Russland“, sagt Dyck. „Kamma Ziege Krawatte umbinden. Aber dann bleibt auch Ziege!“
Über amazon.de ist eine Lese– und Hörprobe abrufbar.

ISBN: 987-3423261050
320 Seiten
dtv-Verlag
Preis: 9, 95 EUR
Bildquelle: pixabay.com CCO Public Domain