„Ein ganzes halbes Jahr“ – Besser als gedacht!

Buchtipp
Zugegeben: Das Buch „Ein ganzes halbes Jahr“ von der britischen Schriftstellerin Jojo Moyes, welches bereits 2012 erschienen ist, war mir schon länger bekannt. Der weltweite Erfolg des Romans, der in 32 Sprachen übersetzt wurde, sowie die gleichnamige Verfilmung im Jahre 2016 hatten mich bislang nicht davon überzeugt, das Buch zu lesen. Denn ich war mir sicher, dass diese Geschichte nur so vor Kitsch und Romantik triefen würde. Doch schließlich ließ ich mich dazu hinreißen, die Geschichte um Louisa Clark und Will Traynor zu lesen. Mein Fazit: Mache dir immer ein eigenes Bild von einem Buch! (Alle interessierten Leser und Leserinnen seien an dieser Stelle gewarnt: Im Folgenden werden der Inhalt und das Ende des Buches vorweggenommen.)

Louisa Clark ist 27 Jahre alt und lebt in einer Kleinstadt in England bei ihren Eltern. Abgesehen von ihrem auffälligen Modegeschmack führt sie ein eher langweiliges Leben. Sie arbeitet in einem Café und ist seit sieben Jahren mit ihrem Freund Patrick zusammen, der zunehmend einem Fitnesswahn verfällt und alles um sich herum vergisst.

Will Traynor hingegen lebt in London, ist erfolgreich und gutaussehend und genießt sein Leben in vollen Zügen. Bis er in einen Autounfall verwickelt wird und von nun an nicht nur auf den Rollstuhl, sondern auch auf die Hilfe von anderen Menschen angewiesen ist. Der einst so lebensfrohe Will verliert jegliche Freude am Leben. Und an dieser Stelle kommt Louisa ins Spiel. Denn nachdem sie ihren Job verliert, findet sie sich als Pflegekraft bei Will zuhause wieder, der wie Louisa in die langweilige Kleinstadt Stratfort zu seinen Eltern zieht, die neben einer Burg nicht viel zu bieten hat. Will ist zunächst nicht von Louisas Anwesenheit begeistert und scheint lieber für sich zu sein. Louisa bemüht sich Tag für Tag und die beiden nähern sich an. Nachdem sie und Will einen gemeinsamen Tagesablauf gefunden haben, findet Louisa den wahren Grund für ihre Anstellung heraus: Will möchte sterben. Er hat seinen Eltern ein halbes Jahr versprochen. Danach möchte er in die Schweiz fahren und seinem Leben ein Ende setzen. Ein Leben, das für ihn keines mehr ist. Louisas Aufgabe ist es, Will davon zu überzeugen, dass das Leben doch noch lebenswert ist. Zunächst möchte sie sich nicht an dieser Sache beteiligen und kündigt, doch schließlich möchte sie Will helfen. Und so packt sie einen Kalender voll mit Ausflügen, Konzerten und Erlebnissen, die Will zum Weiterleben überzeugen sollen. In dieser Zeit kommen sich die beiden näher und stellen das Leben des anderen schnell auf den Kopf. In den letzten gemeinsamen Wochen werden sich die beiden ihrer Gefühle bewusst und Louisa schöpft Hoffnung, dass sie Will ermutigen und von seinem Plan, sich das Leben zu nehmen, abbringen kann. Denn bei ihren Recherchen, die auch den Austausch mit Angehörigen von Tetraplegie Patienten beinhaltet, wird deutlich, was die Betroffenen zum Weiterleben ermutigt: Liebe. Wer jedoch an dieser Stelle ein romantisches Happy-End vermutet, das den so intelligent geschriebenen Roman zu einer Liebesromanze verfallen lässt, der hat sich geirrt. Und so stockte auch mir der Atem auf den letzten Seiten des Buches, als sich Will Traynor das Leben nimmt – Louisa Clark an seiner Seite.

Jojo Moyes hat es mit ihrem Erfolgsroman geschafft, die Beziehung zweier sehr unterschiedlicher Menschen sehr authentisch und gefühlvoll darzustellen, ohne dass die Romantik oder kitschige Elemente überhand nehmen. Im Mittelpunkt steht das Leben, mit all seinen Höhe- und Tiefpunkten. Es bietet auch Einblicke in das Leben eines Tetraplegikers. Beim Lesen entwickelt man schnell ein starkes Mitgefühl für die liebenswerte Louisa, die sich nicht nur bemüht, Wills Leben zu retten, sondern auch ihr eigenes. Nachdem sich zum Ende des Buches der Beginn einer Liebesgeschichte zwischen Will und Louisa anbahnt, wird der ein oder andere Leser vor genau dieser Wendung zurückschrecken. Auch ich bin kein Fan von schnulzigen Liebesgeschichten. Jedoch trifft diese einen mit voller Wucht ins Herz. Denn sie ist ehrlich und besonders zugleich. Und wer den sturen und eigensinnigen Charakter von Will näher betrachtet, wird schnell feststellen, dass es hier kein Happy End geben wird. Jedoch ein Ende, das sehr bewegt und zeigt, wie uns die Begegnungen mit Menschen verändern können.

Die Geschichte von Louisa Clark geht im zweiten Band „ Ein ganz neues Leben“ weiter.

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