Hörspektakeln.

Vor 200 Jahren, also im Jahr 1818, wurde Mary Shelleys Schauergeschichte “Frankenstein or The modern Prometheus” veröffentlicht. Schon dieser zweite Titel “Der moderne Prometheus” machte damals, als ich zum ersten Mal mit der Geschichte in Berührung kam, ordentlich Eindruck auf mein 13-jähriges Ich.

In der pubertären Selbstfindungsphase,  in der man die wirklich wichtigen existenziellen Fragen des Lebens stellt, weil man überschäumend von Sturm und Drang nicht so spießig abgestumpft ist wie die im Alltagstrott versunkenen Erwachsenen, und seinen Kinderglauben, sollte man ihn denn besessen haben, über Bord schmeißt, kann Prometheus schnell zum rebellischen Vorbild ausarten, sobald er oberflächlich gegoogelt wurde. Und nach der nächsten Biologiestunde, die wieder kleinste molekulare Vorgänge auseinanderseziert und doch nicht erklärt hatte, was einen Haufen Materie in einen lebenden Organismus verwandelt, stürzt man sich auf die Erzählung vom erfinderischen Herrn Frankenstein, wohl wissend natürlich, dass es sich um Fiktion handelt, aber doch angefixt durch das Gedankenspiel, in das man einsteigen kann. Pädagogisch wertvoll kann man sich dann auch gleich noch mit den Themen Andersartigkeit und Außenseitertum, Diversität und Devianz auseinandersetzen.

Dass ich heute immer noch in diese Geschichte verliebt bin, fast zehn Jahre, nachdem ich sie kennengelernt habe und 200 Jahre nach ihrer Entstehung, liegt aber eigentlich gar nicht am Stoff selbst, sondern eher an der deutschen Übersetzung, deren altertümliche Sprache so einen Eindruck auf mich machte, dass meine Hausaufgaben vor geschwollener Worte kaum lesbar waren. So richtig einfühlen konnte ich mich in die ungewöhnliche Ausdrucksweise jedoch erst durch die Hörbuchfassung, die ich mir zugelegt hatte, obwohl die Aufschrift “Brigitte Hörbuch Edition” mich zunächst etwas abschreckte. Katharina Thalbach las jedoch, so stellte ich dann fest, so umwerfend, spannungsgeladen und voll ehrlicher, unaufgesetzter Emotionalität, dass sie nun gemeinsam mit dem für ein Kind der Harry-Potter-Generation obligatorischen Helden der Hörbücher, Rufus Beck, die Liste meiner liebsten Vorleser anführt.

Was ein gedrucktes Buch ausmacht, sind neben dem Inhalt, der Geschichte, der Schreibkunst des Autors auch die Haptik, der Geruch, die Formatierung und Gestaltung, der Satz, der verheißungsvolle Buchrücken im Regal. Diese Dinge sorgen dafür, dass immer noch viele Menschen ein gedrucktes Buch einem E-Book vorziehen.
Ein Hörbuch kann damit nicht aufwarten. Es lebt von der Stimme des Interpreten, die auch eine 200 Jahre alte Geschichte heute noch eröffnen und lebendig werden lassen kann.

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