
Schattenbibliotheken
Im Mittelalter war das gesammelte Wissen aus Bibliotheken nicht jedem zugänglich. Bis heute haben sich z. T. Strukturen erhalten, die bestimmte Werke einer zahlenden Leserschaft reservieren. Zu Unrecht, finden manche und machen sich im Untergrund des Internets stark für Schattenbibliotheken.
Schattenbibliotheken sind Volltextdatenbanken, die öffentlich eingesehen werden können. Ein Beispiel ist Anna’s Archive, das gleich mehrere Schattenbibliotheken in sich vereint. Sie spiegelt und indiziert die Schattenbibliotheken Sci-Hub, Library Genesis, Z-Library sowie die digital ausleihbaren Werke der Open Library des Internet Archive. Ein Spiegelserver hält dabei in Rechnernetzwerken exakte Kopien von Datensätzen bereit. Nach eigenen Angaben stehen in Anna’s Archive Metadaten zu über 120 Millionen Werken zur Verfügung.
Schattenbibliotheken werden oft gegründet, um Menschen den Zugang zu ansonsten kostenpflichtiger wissenschaftlicher Literatur zu ermöglichen. Im Rahmen der Zeitschriftenkrise wird folgender Teufelskreis kritisiert: Die Preise für wissenschaftliche Zeitschriften seien so stark gestiegen, dass klassische Bibliotheken ihre Abonnements abbestellen. Dies führe wiederum zu einer weiteren Preissteigerung, da die Verlage versuchen, die sinkenden Abozahlen auszugleichen. Viele Menschen sprechen sich dafür aus, dass öffentlich finanzierte Forschungsergebnisse auch für jeden frei verfügbar sein sollten (Open Access). Deswegen werden Schattenbibliotheken manchmal auch als Schwarzes Open Access bezeichnet. Für manche gleicht dies einer Art Robin-Hood-Projekt. Sie empfinden es als Ungerechtigkeit, dass Studien, die mit öffentlichen Geldern finanziert wurden, nachträglich noch einmal hinter den Paywalls von Marktriesen wie Elsevier versteckt werden. Und die Preise für wissenschaftliche Zeitschriften würden in immer absurderem Ausmaß steigen, sodass 2012 sogar die Harvard Universität Alarm schlug.
Doch während etwa die Hälfte der Nutzer aus Entwicklungsländern kommt, wo es für viele ansonsten tatsächlich keinen Zugang zu bestimmten Werken gäbe, ist überraschenderweise eine ebenso hohe Anzahl an Downloads aus Ländern zu verzeichnen, in denen die Pro-Kopf-Ausgaben für Forschung und Bildung relativ hoch sind, der Buchhandel gut entwickelt ist und Bibliotheken relativ gut finanziert werden.
Weil Schattenbibliotheken im Vergleich zu klassischen Bibliotheken nicht in einer gegenseitigen Abhängigkeitsbeziehung zum Verlagswesen stehen, sind sie oft günstiger, schneller, einfacher zugänglich, umfangreicher ausgestattet und schlichtweg bequemer.
Allerdings können Schattenbibliotheken gegen das Urheberrecht verstoßen. Ähnlich wie bei Filmen oder Musik gibt es also auch eine Buchpiraterie. Beispielsweise wurde dem Wissenschaftsverlag Elsevier im Sommer 2017 in einem Rechtsstreit gegen Sci-Hub von einem New Yorker Gericht Schadensersatz in Höhe von 15 Millionen US-Dollar zugesprochen. Das Betreiben von Schattenbibliotheken verstößt also gegen geltendes Urheberrecht, aber wie sieht es mit dem Nutzen solcher Schattenbibliotheken aus? Hier bewegt man sich nach dem Urheberrechtler Eric Steinhauer in einer rechtlichen Grauzone. Während manche das reine Lesen von Dateien, die über Schattenbibliotheken heruntergeladen wurden, nicht als strafbar betrachten, sind andere der Meinung, dass diese Texte weder gelesen noch gespeichert oder ausgedruckt werden dürfen. Kritische Stimmen sehen in Schattenbibliotheken auch eine allgemeine Bedrohung für das klassische Bibliothekswesen.
Ein aktuelles Problem stellen Schattenbibliotheken auch in Bezug auf den Schutz von Daten vor KI-Trainingszwecken dar. Im Sommer 2023 wurden OpenAI, die Betreiber von ChatGPT und weitere Anbieter von Large-Language-Model-Diensten beschuldigt, die Trainingsdaten für ihre Software aus Schattenbibliotheken wie Z-Library bezogen zu haben. Jüngst wurde auch Anna’s Archive vom Online Computer Library Center verklagt.
Alternativen, um an Literatur hinter Paywalls zu gelagen, sind z. B. Literaturtauschbörsen und akademische soziale Netzwerke wie Researchgate und Academia.edu. Auf Twitter kursiert seit einiger Zeit der Hashtag #icanhazpdf, über den Suchende sich mit Personen in Verbindung setzen, die Zugang zu bestimmten wissenschaftlichen Artikeln haben, z. B. über einen Universitätszugang. Allgemein öffnet das Eingeschrieben-Sein an einer Universität oder Fachhochschule häufig Türen zu einem riesigen Fundus an wissenschaftlichen Artikeln. Aber nicht alle Universitäten und Forschungseinrichtungen haben Zugang zu allen veröffentlichten Artikeln. Besonders kleine Einrichtungen mit geringem Budget können sich kostenlose Zugänge bei sämtlichen großen Verlagen für ihre Studenten und Mitarbeiter oft nicht leisten und müssen sich auf eine kleinere Auswahl an verfügbarer Literatur beschränken.
Was übrig bleibt, sind philosophische Fragen: Wem gehört Wissen? Wer darf es verkaufen? Wer darf es nutzen? Und (wie) kann man es teilen?
Illustration von Vilhelm Pedersen (1847)
weiterführende Literatur: https://diglib.uibk.ac.at/urn:nbn:at:at-ubi:1-5012
