Mit Arne Rautenberg im Gespräch

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Foto: Birgit Rautenberg


Es war einer der Tage, wie der Lyriker, Schriftsteller und Künstler Arne Rautenberg sie in „Hokusais Sonntagnachmittagspaziergang“ beschreibt:
„Es war einer der Tage, an denen das Wesentliche kaum auffällt. Ja, es ist kalt. Ja, der Himmel ist bedeckt. Und ja, das dumpfe Grau, das sich um den Tag rankt, es raubt einem alle Lust. Doch das ist nichts Besonderes. Derlei Wintertage sind hier im Norden eher die Regel als die Ausnahme. Allerdings kann es passieren, dass man am Ende eines solchen Winters mit einem Mal innehält und sich an nichts anderes erinnert als an ein Gefühl des Bedrängtwerdens. An ein Gefühl, das auf eine unerklärliche Art von oben in einen dringt. Als hätte man seinen Kopf geöffnet und bekäme tröpfchenweise ein böses Valium in die Wachphasen getrichtert, gerade so, dass alles eben keinen Sinn macht. Dass einem schon beim ersten Schritt aus der Haustür ein scharfer, pfeifender Wind in den Hals schneidet. Und die Dunkelheit trumpft jeden Tag aufs Neue auf wie ein frecher Streber, der einem die Zeit und die Schau stiehlt. Nein, es war einer der Tage, die man am besten abhakte. Doch ich konnte diesen Tag nicht abhaken, denn ich hatte noch einen Termin.“ Auch ich hatte an einem dieser Tage noch einen Termin – und zwar mit Arne Rautenberg selbst.

Als ich mit dem Zug in seine Heimatstadt Kiel fahre, spielt das Wetter genau dieses Hokusai´sche Lied. Meinen eben gekauften Regenschirm habe ich unglücklicherweise schon am Abfahrtsbahnhof liegen gelassen. Ich ärgere mich über meine Nachlässigkeit, und dass ich mir gleich am Ankunftsbahnhof einen weiteren würde kaufen müssen. Neuer Schirm, neues Glück hoffe ich und mache mich auf den Weg zum Botanischen Garten, den ich mir trotz Regen ansehen will, um die verbleibende Zeit zu vertreiben. Gerade habe ich den Garten betreten, da kommt mir der Parkwächter entgegen und schickt mich postwendend wieder hinaus, da die Besuchszeit just in dieser Minute vorüber ist. Die Richtung zu meinem Zielort kennt der Parkwächter nicht und das Mobiltelefonnavigationssystem tut es in dieser Halbeinöde des Universitätsgeländes wundersamerweise auch nicht. Ganz auf meinen nichtvorhandenen Orientierungssinn gestellt, laufe ich wie selbstverständlich in die falsche Richtung und stelle fest, dass meine minderhohen Schuhe, die ich wegen Rautenbergs Geschichte „Große Frauen mit hochhackigen Schuhen“ statt der hohen Schuhe wählte, nicht mehr ganz so wasserfest sind. An der Hauptstraße angekommen widerstehe ich meinem sechsten Großstadtsinn, der mir zu einem Taxi rät, denn ich will dem Klischee aus Rautenbergs Geschichte auf keinem Fall entsprechen. Im Wohnviertel des Dichters angekommen freue ich mich über meine Tapferkeit dem schlechten Wetter getrotzt zu haben und ein Blick auf die Uhr verrät mir, dass ich endlich einmal gut in der Zeit liege – ein Wunder, dass sich nur wenige Minuten später als Trugschluss herausstellt. Denn nachdem mich mein technologisch vollwertiges Mobiltelefonnavigationssystem dreimal an der selben Baustelle vorbeiführt, wird mir klar, dass etwas nicht stimmt und schon ist die Pünktlichkeit wieder dem Märchenland anheimgefallen. Wie ein Licht am Ende eines Tunnels kommt eine Großmutter des Weges und weist mir den Weg in die richtige Richtung: „Gehen Sie diese Straße runter, die nächste links, dann die zweite rechts, wieder links, nochmal rechts und irgendwann wieder links.“ Spitze! denke ich, warum führen hier eigentlich nicht alle Wege nach Rom? Zwei Großmütter, einen Großvater und einen nicht all zu kurzen Vortrag über die berühmten Namensgeber Kieler Straßen später biege ich endlich in die richtige Straße ein und wie der Protagonist in Rautenbergs Hokusai-Geschichte von Freude erfüllt vor dem in Schnee getauchten Schneemann-Park steht, stehe ich in Rautenbergs urgemütlicher Küche und freue mich auf einen warmen Becher frischgebrühten Tees.

In dem folgenden Gespräch lerne ich einen passionierten Künstler, einen Dichter aus Leidenschaft kennen, gesellig, bodenständig, redegewandt und freundlich. Rautenberg gewährt mir Einblick in seine Arbeitszimmer: mit Kunst und Literatur gefüllte Kammern – ich denke an klassische Dichtung, doch Rautenbergs lyrisches Werk ist durchdrungen von der schlichten Klarheit der Moderne, seine Kunst von einem bunten Hauch des Chaos. Doch was so chaotisch anmutet ist eine neue Ordnung, denn Rautenberg sammelt, fügt zusammen, was zusammen passt und lässt damit etwas ganzheitliches entstehen. Er erschafft Kunst mit Gedankengang und kaum einer seiner Sätze klingt gewöhnlich.

Herr Rautenberg, die Synthese von Kunst und Text ist in ihrem Werk deutlich. Ist das eine Verbindung, die sich aus ihrem Interesse für Literatur und Kunst ergeben hat oder steckt eine Idee dahinter?

Es wurde mir erst in den letzten Jahren klar, dass das Machen von Kunst und das Schaffen von Text sich bei mir aus derselben programmatischen Quelle speist. Zum einen: Dinge zusammenbringen, die nicht zusammen gehören – zum anderen: das Kleine groß machen. Das geschieht sowohl in meinen Texten, als auch in meinen bildkünstlerischen Arbeiten.

Sie drücken sich künstlerisch auf vielfältige Weise aus: Es gibt viel Form, Farbe, Schrift und Wortspielereien zu sehen. Zum Beispiel die Lyrik, die spielerisch in Formen gestaltet ist, sie fertigen Collagen an, Bilder mit Schriften, schreiben ganze Bücher und fertigen Steinskulpturen an. Woher nehmen Sie Ihre Ideen? Verraten Sie uns eine Inspirationsquelle?

Ich gehe schlichtweg mit offenen Augen durchs Leben, lasse mich von der Natur, meinen unmittelbaren Erlebnissen und Erfahrungen, der medialen Weltvermittlung, vor allem von Büchern und der Kunst selbst inspirieren. Vieles geistert mir durch den Kopf. Manchmal entwickelt sich, ohne, dass ich es merke, ein Konzept; etwa Gedichte in Kreisform zu setzen oder Gedichte vom Papier zu befreien und als raumgreifendes Ereignis an der Wand zu präsentieren. Manchmal beflügeln mich Orte, für die ich eine Schriftinstallation, ein Kunstwerk erschaffen soll; und irgendwie glüht in mir immer der Draht, der mich mit meinem erweiterten Bewusstseinsstrom verbindet; also spinne ich weiter rum, mache mir Notizen und denke: Ein Tag, von dem nichts übrig bleibt, der ist nichts wert. Der ist verloren für immer. Deswegen versuche ich aus einer inneren Notwendigkeit heraus stets aufs Neue, etwas Neues zu erschaffen.

Vor allem Ihre optischen Gedichte weisen einen Einfluss durch die englische Sprache auf. Was bewegt Sie dazu, Texte bzw. Lyrik in englischer Sprache zu verfassen?


Das hat sicher mit den Quellen zu tun, etwa wenn ich auf Elemente aus der Pop-Kultur zurückgreife, in dem ich zum Beispiel aus dem Beatles-Song HONEY PIE innerlich einen anderen mache: MONEY PIE. Oder durch eine simple Buchstabenverdrehung aus dem Spruch MONEY MAKES THE WORLD GO ROUND einen viel Schöneren entwerfe: HONEY MAKES THE WORLD GO ROUND. Daraus ergibt sich dann vielleicht später eine Idee für ein optisches Gedicht, in welchem ich beide Aussprüche miteinander in Verbindung bringen kann… Ich suche das nicht bewusst, das fällt mir einfach so zu. Und da ich immer dahin gehe, wo meine Ideen mich hinhaben wollen, geht es bisweilen auch mal in die englische Sprache hinein.

Welche Bedeutung hat die deutsche Sprache oder auch die Sprache an sich für Ihre Arbeit?


Die deutsche Sprache bedeutet mir alles. Ihr gebe ich mich in meiner dichterischen Arbeit völlig hin. Lasse mich von ihr mitnehmen, lasse mich in ihr treiben. In ihren Tiefen lote ich die Grade zwischen Sinn und Unsinn aus. Die deutsche Sprache ermöglicht mir das Abenteuer Poesie. Dieses Abenteuer ist absolut und es dominiert mein Leben mittlerweile seit 30 Jahren. Für mich ist es heiliger Ernst, inklusive aller Einbrüche ins Dunkle, Ungesagte – und es ist ein Abenteuer, sich an den Randbereichen des Verstehens zu bewegen oder einfach frei mit der Sprache auf- und rumzuspielen, um so an andere Ufer zu geraten. Sprache ist ja nicht nur zum Funktionieren, zum Einbahnstraßen-Mitteilen, zum Vergleichen und Bewerten da – Sprache kann mehr – – kurz: Die deutsche Sprache ermöglicht es mir, dass ich mich von mir selbst überraschen lassen kann. Und damit auch andere überraschen kann. Grimms Wörterbuch ist dabei mein treuer Freund und Begleiter.

Wie würden Sie den Satz beenden? Poesie ist …

der weltweite und zeitübergreifende Code der Feinsinnigen. Poesie ermöglicht, etwas von dem zu erkennen, was all die Abgestumpften nicht mehr wahrnehmen können. Poesie erschafft Fragen. Poesie schärft die Sinne für unsere Zukunft – und ist daher unverzichtbar.

 

IMG_2019Eine lyrische Leseprobe und einen Einblick in den aktuellen Lyrikband „seltene erden“ von Arne Rautenberg gibt es hier.

Mehr von und über Arne Rautenberg gibt es außerdem auf der Internetseite www.arnerautenberg.de

seltene erden
Arne Rautenberg
Edition Voss im Horlemann Verlag, Berlin
ISBN: 978-3-89502-383-5