Jennifer Bentz – „Wenn alle Stricke reißen“ – Das Leben ist die beste Therapie
Während Jungautorin Jennifer Bentz in ihrem ersten Roman „Einfach mal klarkommen“ noch ihre eigenen Erfahrungen mit einem Burn-out und dem Aufenthalt in einer Nervenklinik verarbeitet, kreiert sie in ihrem neuesten Werk eine wunderbar skurrile und komische Geschichte um drei Frauen und ihr Leben in ihrer gemeinsamen „Psycho“-WG.
Auf so eine Idee muss man erst einmal kommen: Weil ihr Therapeut sich in seiner Praxis erhängt, treffen die drei Patientinnen Vivien, Lea und Tine unfreiwillig im sonst so anonym gehaltenen Wartezimmer aufeinander – nicht ganz zufällig, wie sich später herausstellt.
Die eine klaut, die andere hat ihre Wut nicht unter Kontrolle und die nächste scheut sich vor allem und jedem, kurz: eine Kleptomanin, eine Cholerikerin und eine Phobikerin treffen sich auf dem Weg zu ihrer nächsten Therapiesitzung und nein, dies ist nicht der Anfang eines schlechten Witzes. Dies ist der Anfang eines großartigen Romans, der zeigt, was für schöne Streiche einem das Leben manchmal spielen kann.
Zugegeben, ein bisschen ungläubig wird man beim Lesen schon: Dass nun die drei jungen Frauen sich tatsächlich dem letzten Wunsch ihres selbstmörderischen Therapeuten, der „sowieso nicht mehr lange zu Leben gehabt hätte“, fügen und von heute auf morgen eine WG gründen, in der sie sich gegenseitig von ihren Macken befreien wollen. Aber warum eigentlich nicht? Alle drei befinden sich in ausweglosen Situationen, alle drei haben nun keinen Therapeuten mehr. Und letztendlich ist es auch egal, denn die Begebenheiten in dieser neuen Wohngemeinschaft sind für den Leser einfach nur herrlich amüsant und trotz der ständigen Anwesenheit von Angst, Wut und Verzweiflung sehr erbauend.
Während die labile Tine schon langjährige Erfahrung mit Therapeuten und Therapien vorzuweisen hat, ist die überempfindliche und unzufriedene Lea neu auf dem Gebiet und Vivien denkt sowieso, dass sie die einzig ‚Normale’ unter den dreien ist – ein bisschen klauen macht schließlich noch keine Psychose … Die drei Frauen entschließen sich zu einem einwöchigen Wettkampf unter „Psychos“, auch wenn das Wort eigentlich unangebracht und verboten ist. Sie versuchen sich gegenseitig stark zu machen, indem sie die anderen daran teilhaben lassen, wie sie selbst immer wieder schwach werden. Natürlich funktioniert das nicht ohne den ein oder anderen Streit und die immer wieder auftretenden Versuche, aufzugeben. So leicht ist es schließlich nicht, „einfach mal klarzukommen“. Doch am Ende schaffen sie es tatsächlich – jede der mittlerweile engen Freundinnen scheint eine 180-Grad-Drehung hingelegt zu haben: Tine hat ihre Prüfungsangst besiegt und in der kurzen Zeit ihren Führerschein gemacht, Lea hat dank ihres neuen Co-Moderatoren und dank Tines Onkel, eines anerkannten Promitherapeuten, ihre Wut besser unter Kontrolle und Vivien, ja, Vivien klaut nicht mehr und hat einen Sinn im Leben gefunden, in dem sie merkt, wie viel Spaß ihr die Arbeit mit alten Leuten macht.
Auch wenn am Ende alles ein bisschen zu perfekt und zu harmonisch scheint, überwiegt eindeutig die Freude über diesen locker leichten Roman, der einem nicht nur zeigt, wie wichtig Freunde sind, sondern auch, dass man nie aufgeben sollte.