„Ist das Liebe, oder kann das weg?“ – Großstadtkolumnen von Nachwuchsautor Michael Nast
Michael Nast, um diesen Namen kommt man – zumindest in Berlin – in letzter Zeit nicht mehr herum. „Die Welt“ ernannte ihn kürzlich sogar zum „Sprachrohr einer Generation“.
Aber wer ist dieser Michael Nast eigentlich und was macht ihn zum „Sprachrohr“?
Michael Nast ist Kolumnist, er veröffentlicht auf seiner Webseite schon eine ganze Weile und für ein stetig wachsendes Publikum Kolumnen über das Leben als Alleinstehender in der Hauptstadt. Zuletzt hat er eine ziemlich erfolgreiche Kolumne namens „Generation beziehungsunfähig“ geschrieben. Dieser Text wurde innerhalb von einer Woche eine Million Mal gelesen. Seitdem gibt er fleißig Antworten auf die Fragen der Presse und unterhält seine Leser auf unterschiedlichen Veranstaltungen mit Anekdoten aus seinem Leben und aus dem seiner Freunde und Exfreundinnen. Er berichtet von miserablen oder erbauenden Bekanntschaften, von abschreckenden berlinernden Mädels und von traurigen Wahrheiten, wie etwa der Unfähigkeit zur Kommunikation außerhalb der sozialen Medien.
Ich lernte Michael Nast auf meiner Geburtstagsfeier kennen – man kennt das ja, irgendjemand bringt irgendjemand anderen mit und so kommt ganz schnell ein volles Haus zustande. Ich unterhielt mich mit ihm, über das Schreiben und die Zeit, die man sich dafür nehmen muss, und fragte irgendwann nach – mit wem unterhielt ich mich da eigentlich? Bald schon sollte ich feststellen, dass es eigentlich ein Unding war, von diesem Namen noch nichts gehört zu haben, vor allem, wenn man sich mit dem zeitgenössischen Literaturgeschehen beschäftigt.
„Nast schreibt einem aus der Seele“ sagt Schauspieler und Freund des Autors Oliver Korittke auf dem Umschlag der zweiten Kolumnensammlung namens „Ist das Liebe, oder kann das weg? Vom sonderbaren Verhalten geschlechtsreifer Großstädter.“, erschienen vor gut einem Jahr im Ullstein Verlag. „Der bessere Berliner: Großstadtgeschichten.“, so heißt das Erstlingswerk, erschienen 2009 bei Rowohlt, enthält ähnliche Texte. Die Hauptstadt spielt eine nicht unwesentliche Rolle in den Texten des gebürtigen Ostberliners, das wird schnell klar. Noch klarer wird dies, wenn man sich mit dem Autor unterhält. Die authentische Berliner Mundart spielt ganz sicher keine unwesentliche Rolle für seinen Erfolg. Grund genug, sich einmal mit ihm über seine Heimat und die sprachlichen Entwicklungen dort zu unterhalten:
Lieber Michael, in den Medien liest man in letzter Zeit soviel über Dich, aber jetzt sag doch mal, wie bist Du eigentlich zum Schreiben gekommen?
Das war immer schon in mir. Als ich im Kindergarten war, konnte ich es kaum erwarten, zur Schule zu kommen, um endlich lesen zu lernen. Ich bin ja in Ost-Berlin aufgewachsen, da gab es die „ABC-Zeitung“ und wir sollten uns in der zweiten Klasse eine Geschichte zum Deckblatt der aktuellen Ausgabe ausdenken. Ich habe dann eine Umweltgeschichte dazu geschrieben, die gleich einen Geschichtenwettbewerb gewonnen hat. Damals gab es ja jeden Mittwoch einen Schulappell, dort musste ich meine Geschichten vor versammelter Schule vorlesen. So hat es wohl angefangen.
Gibt es Idole, Vorbilder, Lieblingsschriftsteller und wenn ja, was beeindruckt Dich, inwiefern haben sie Dich und Deine geschriebene Sprache beeinflusst?
Viel mehr als Formulierungen oder ein bestimmter Schreibstil beeinflusst mich eher eine Stimmung, die ich beim Lesen von Texten habe. Der Journalist Alexander Osang hat zum Beispiel in der „Berliner Zeitung“ Kolumnen geschrieben, in denen ich mich zu Hause gefühlt habe, wenn ich sie gelesen habe. Die vermittelten einfach die richtige Stimmung. Und das war dann auch mein Anspruch, als ich angefangen habe, meine Kolumnen zu schreiben. Andere Autoren, die ich sehr mag, sind Antonio Tabucchi, der eine einfache und gleichzeitig elegante Sprache hat, oder Raymond Carver, dessen Stil ich liebe, obwohl seine Erzählungen mich inhaltlich schon sehr runterziehen. Und ich liebe Dostojewski, aber eher als Leser, ich glaube, ich habe ihn einfach zu früh und viel zu viel gelesen, das hatte gewisse Auswirkungen auf meine Beziehungen zu Frauen, die ähnelten psychologisch schon sehr den zwischenmenschlichen Verhältnissen in Dostojewski-Romanen. Also eher selbstzerfleischend als einander Kraft gebend.
Wie fühlt man sich als „Sprachrohr einer Generation“?
Den Namen hat mir ja die „Die Welt“ gegeben. Ich hätte mich nie als „Sprachrohr“ bezeichnet, weil der Begriff für mich auch mit Forderungen verbunden ist. Ich sehe mich eher in einer belletristischen Tradition. Meine Texte sind Zustandsbeschreibungen, ich beschreibe Befindlichkeiten, es gibt keine Forderungen. Es war ja schon immer so, dass mir Leser geschrieben haben, wie sehr sie sich in meinen Texten wiederfinden. Ich habe da irgendwie einen Nerv getroffen. Und das hat gerade mit den letzten Texten eine neue Dimension erreicht. Inzwischen schreiben mir Tausende, wie genau ich ihre Gefühle in Worte fasse, und wie sehr sie meine Worte treffen und berühren. Dass sie beginnen, über ihr Leben nachzudenken und sich selbst zu reflektieren. Meine Texte sind also eher ein Spiegel und vielleicht bewegt das ja sogar mehr in den Menschen, als ihnen vorzuschreiben, was sie tun sollen.
Welche Bedeutung hat die deutsche Sprache für Dich?
Es ist natürlich eine komplexe, auch eine der schönsten, elegantesten Sprachen, die leider immer mehr verfällt. Viele haben einfach das Gefühl für unsere sehr schöne Sprache verloren, die nicht umsonst als die Sprache der Dichter und Denker bezeichnet wird. Ich rede nicht von Anglizismen, sondern davon, dass der Wortschatz vieler Leute erschreckend gering ist. Aber wir erleben ja generell einen erschütternden Niveauverfall in der Gesellschaft, auf mehreren Ebenen. Das weiter auszuführen, würde den Rahmen jetzt wohl sprengen.
Du hast einen eindeutigen und authentischen Berliner Dialekt. Denkst Du, Dein Erfolg ist teilweise auch darauf zurückzuführen?
Nein, ich glaube, damit hat das gar nichts zu tun. Die Leute lesen meine Texte ja nicht, weil ich ab und zu „ick“ oder „dit“ sage. Ich glaube, sie schätzen eher meine – teilweise sehr schonungslose – Ehrlichkeit, auch mir selbst gegenüber. Ich spiele einfach keine Rolle, ich bin beispielsweise auf der Bühne, wie ich wirklich bin.
Unglaublich, aber wahr! In Berlin fällst Du mittlerweile schon auf, weil Du berlinerst. Was sagst Du zu dem bunten Sprach- und Dialektaufgebot, das mittlerweile in der Hauptstadt vorzufinden ist?
Das finde ich gut und ich genieße es sogar. Die Stadt ist ein Schmelztiegel, zumindest die Innenstadt, und das macht Berlin auch für mich aus. Peinlich finde ich allerdings bestimmte Restaurants oder Bars, in denen ausschließlich Englisch gesprochen wird, das finde ich aufgesetzt und auch sehr gezwungen, als würde man sich selbst krampfhaft beweisen wollen, wie international und weltgewandt man doch ist, und letztlich wirkt man nur lächerlich in seiner Affektiertheit.
Eine Deiner letzten Lesungen – die nebenbei bemerkt wahnsinnig gut besucht war – fand im Berliner „Bikini-Haus“ statt. Wusstest Du, dass es sich bei diesem Begriff um einen sogenannten „Berolinismus“, also um ein Wort, welches nur in der Berliner Umgangssprache üblich ist, handelt? Was fallen Dir da spontan für Begriffe ein?
Da habe ich keine auf Lager, zumindest benutze ich sie nicht. Ich weiß, dass der Fernsehturm am Alexanderplatz von vielen „Telespargel“ genannt werden soll, ich kenne keinen Berliner, der das sagt. Daran erkennt man eher die Zugezogenen. Wenn jemand „Prenzlberg“ statt „Prenzlauer Berg“ sagt, oder „Boxi“ statt „Boxhagener Platz“, sind das eher überassimilierte Zugezogene, die ganz schnell dazugehören wollen. Solche Leute werden auch eine Woche nach ihrem Umzug Fans des Berliner Fußballclubs „Union“, weil sie das für authentisch halten.
Deine Texte spielen alle in Deiner Heimatstadt Berlin. Wofür steht diese Stadt in Deinen Augen?
Berlin ist für mich eine Idee, eine perfekte Projektionsfläche für Träume. Ich bin in Köpenick aufgewachsen, einem Bezirk, der zwar zu Berlin gehört, aber eher eine Kleinstadt ist. Ich wollte immer in die Innenstadt, ich hatte eine Idee von Berlin, von der Szene, da war ein Leben, wie ich es mir vorstellte. Da hat Köpenick gar nicht reingepasst. So gesehen bin ich auch irgendwie ein Zugezogener. Ich glaube, dass die Zugezogenen auch die besseren Berliner sind, sie sind begeistert von der Stadt, wollen ihre idealisierte Idee von Berlin umsetzen. Wenn man es genauer betrachtet, bestimmen sie auch das Bild der Stadt. Es ist schon erstaunlich, wie wenig „wirkliche“ Berliner in dem Bild der Kreativ-Metropole Berlin eine Rolle spielen. Die meisten Kreativen, die Berlin ausmachen, sind keine gebürtigen Berliner.
Könntest Du Deine Kolumnen genauso gut in jeder anderen Großstadt spielen lassen?
Ich glaube schon, die Themen sind ja allgemeingültig, die Kulisse ist nur Berlin. Das danken mir Leute aus kleinen Dörfern in Bayern oder der Uckermark. In Berlin ist alles konzentrierter, hier passiert mehr, hier gibt es mehr Material. Man kann hier gut sehen, wo die Reise gesellschaftlich hingeht. Berlin nimmt das in gewisser Weise vorweg.
Dein Text „Generation Beziehungsunfähig“ war Dein bisher erfolgreichster in den digitalen Medien. Der Neologismus hat gesessen! Bist Du ein Wortjongleur und Sprachkünstler? Helfen Dir neue Wörter, um über Deine Gedanken zu schreiben?
Nein, darüber denke ich gar nicht nach. Ich suche auch nicht nach Neologismen, die kommen dann im Schreibprozess. Wenn man es plant, unbedingt ein „Wortjongleur“ oder „Sprachkünstler“ sein zu wollen, endet das dann wie beim Bachmann-Preis, da wird Funktionalität über Atmosphäre gesetzt. Als wäre es eine Wissenschaft, und Wissenschaft hat nichts mit Gefühlen zu tun, um die es in der Literatur geht.
Angeblich stehen Deine Texte in Frankreich auf dem Lehrplan, ist da was Wahres dran?
Ja, das ist wirklich wahr. Mein Verlag hat mir kommentarlos ein Päckchen mit einem französischen Schulbuch geschickt, mit dem ich erst einmal gar nichts anfangen konnte. Dann habe ich es durchgeblättert und einen meiner Texte entdeckt, mit Arbeits- und Analyseanweisungen auf der gegenüberliegenden Seite. Die waren herrlich zu lesen. Das ist bisher – also im ideellen Sinn – der Höhepunkt meiner Karriere als Schreiber.
Sollten Deine Texte auch im Schulunterricht in Deutschland gelesen werden?
Ich glaube, es wäre sehr vermessen und auch überheblich zu sagen: „Natürlich müssten sie das!“ Das sollten Autoren nicht entscheiden, da sind andere wesentlich kompetenter. Mir persönlich ist es auch lieber, wenn die Leute von selbst darauf kommen, meine Texte zu lesen. Wenn es einem vorgeschrieben wird, kann das viel kaputtmachen. Ich habe auch viele Autoren, die ich in der Schule lesen musste, erst nach der Schulzeit neu entdeckt, als der Zwang nicht mehr da war. Erst dann konnte ich ihre Texte wirklich genießen.
Was schreibt Michael Nast in der Zukunft? Bleibt er Kolumnist?
Gerade läuft ziemlich viel parallel. Ich habe eine fünfteilige Berlin-Serie konzipiert, und arbeite mit einem Drehbuchautor an einem Kinofilm, der Verfilmung meines letzten Buches „Ist das Liebe, oder kann das weg?“. Im Frühjahr 2016 kommt eine neue Kolumnensammlung und im März 2017 erscheint mein erster Roman. Natürlich schreibe ich auch weiterhin Kolumnen, es gibt Anfragen von Magazinen und Zeitungen, Texte für sie zu schreiben. Ich muss also gerade meinen Arbeitsalltag sehr strukturieren, um da den Überblick zu behalten.
Für dieses sehr interessante Gespräch bedanke ich mich bei Michael Nast und zu seinen Texten bleibt mir zu sagen: Ich bin sehr gespannt, was wir in Zukunft von ihm hören und lesen werden und wünsche mir persönlich ein bisschen weniger anekdotenhaftes Geplänkel à la „Ich hatte mal eine Freundin, die …“ oder „Ein Kumpel von mir, hat mal …“, ein bisschen mehr Illusion und gern auch mal eine Handlung außerhalb von Berlin, denn die Orte, die er in seinen Kolumnen immer wieder besucht, kenne ich nun in und auswendig.