Misantrophisches Kunstwerk – der neue Film von Roy Andersson
Die letzte Szene im neuen Film des schwedischen Regisseurs Roy Andersson macht sprachlos: Britische Kolonialsoldaten zwingen afrikanische Gefangene unter Gewalt in ein riesiges Kupferfass und bereiten darunter ein Feuer. Aus den Grammophon-Lautsprechern an der Metallkonstruktion ertönt daraufhin eine Melodie des Grauens – zur Unterhaltung greiser Zuhörer, die wortlos dastehen und das „Konzert“ bei einem Glas Champagner betrachten. Der Film trägt den Titel „Eine Taube sitzt auf einem Ast und denkt über ihr Leben nach“. Als ich ihn ansah, verließ an dieser Stelle ein weiterer Zuschauer den Kinosaal. Er war nicht der erste. „Viel Spaß noch!“, wünschte er allen und kündigte erbost an, sich bei der Kinoleitung über so ein Programm zu beschweren.
Dabei hatte er schon 90 Minuten des Films hinter sich, der in kurzen unabhängigen Ausschnitten Situationen des menschlichen Alltags betrachtet. Zusammengehalten werden diese Sequenzen von den Scherzartikelvertretern Jonathan und Sam, die Vampirgebisse, Lachsäcke und Gruselmasken im Angebot haben. „Wir möchten den Menschen helfen, Spaß zu haben“, ist ihr erklärter Auftrag. Das wiederholen sie oft, und jedes Mal wirken die Szenen durch die fahlen Gesichter der Akteure, die Zahlungsunfähigkeit der Kunden oder die hoffnungslos missglückte Präsentation der Produkte abgrundtief traurig.
Alle Szenen sind wie Gemälde. Jedes Detail hat seinen Platz, die Farben sind Grau und Pastell – wie Küchenschränke der 60er Jahre. Die Darsteller bewegen sich kaum, die Kameraeinstellung bleibt gleich. Da ist eine vollschlanke Tanzlehrerin, die sich unglücklich in einen ihrer Schüler verknallt hat. Da ist die alternde Wirtin in einer Kneipe, die sich die (körperliche) Zuneigung ihrer Gäste durch das Ausschenken von Schnaps erkauft. Und da ist der Rentner, der eine Flasche Rotwein zum Abendessen öffnen will und darüber an einem Herzinfarkt stirbt, während seine Gattin in der Küche nebenan weiter kocht. Sein letztes Röcheln wird vom laufenden Fernseher übertönt. Mehrmals besteht die Handlung aus jeweils einer Person bei einem Telefongespräch, von dem die Zuschauer nur einen einzigen Satz mitbekommen: „Freut mich zu hören, dass es Euch gut geht.“ Um den Inhalt des Gesprächs geht es aber überhaupt nicht. Eine der Personen ist der Vorstandsvorsitzende eines Unternehmens. Er hat den Hörer in der rechten, den Revolver in der linken Hand und steht einsam vor seinem schweren Eichenschreibtisch. Im Hintergrund das Wandgemälde eines Adlers, der einem Konkurrenten seine Krallen in die Brust schlägt. Dieser traurige Mann kann sich freuen, dass es seinem Gesprächspartner gut geht. Und weil dieser nicht verstanden hat, wiederholt er den Satz. Der Zuschauer bekommt viel Zeit, sich die Szene anzuschauen. Denn es passiert kaum etwas.
Das alles ist von der Handlung her nicht schön, auch nicht spannend oder überraschend. Eher eintönig und beinahe schmerzhaft langsam. Der Film ist mehr wie ein Besuch im Museum als ein Abend im Kino. Das Knabbern von Popcorn ist vollkommen unangebracht. Roy Andersson zeigt die Trostlosigkeit menschlicher Gedanken, Handlungen und Wünsche und malt diese auf. Viele Bilder hinterlassen die Zuschauer ratlos. Ist Mitgefühl angesagt? Empörung? Loslachen? Man kann in jedem Bild Bezüge zur Realität herstellen: die Darstellung der Werbung, Konsumkritik, Entfremdung. Man kann es aber auch lassen.
Mit Tauben hat der Film nichts zu tun – soviel sei verraten. Es kann auch nicht schaden, wenn man sich vor dem Besuch des Films ein wenig darauf einstellt, dass der Film nicht das Kino bietet, was jeder kennt. Dieser Film ist ein Kunstwerk und meine Hochachtung vor jeder Kinoleitung, die diesen Film ins Programm nimmt.
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