Hier wird gejodelt
„Hab die neue WG von meinem Freund gefragt, ob dort jemand jodelt. Antwort: ‚Eher nicht, aber gesungen wird hier häufiger.’“
Ein Laie wird dieses Zitat für eine seltsame Frage und eine logische Antwort halten. Der Profi weiß: Hier ist nicht die Rede vom alpinen Kulturgesang, sondern von einer App mit absolutem Suchtpotential.
Jodel ist eine Smartphone-Anwendung, die seit 2014 in Deutschland heruntergeladen werden kann. Die Nutzung ist schnell erklärt: Der Jodler jodelt eine Nachricht an andere Jodler. Klingt jetzt erst einmal nach Twitter oder Facebook, könnte man meinen. Grundlegend hebt sich die App jedoch durch die Tatsache ab, dass jegliche Jodel vollkommen anonym veröffentlicht werden. Allein das GPS-Signal schränkt den Empfangskreis der Nachrichten ein. Andere Jodler aus dem Umkreis können daraufhin auf veröffentlichte Jodel reagieren, indem sie sie mit einem „Up-“ oder „Downvote“ bewerten oder kommentieren. Auch Fotos können auf diese Weise mit anderen geteilt werden.
Ob Alltagsfrage, Herzschmerz oder eine lustige Anekdote, der Kreativität beim Jodeln sind keine Grenzen gesetzt – vorausgesetzt sie entsprechen den allgemeinen Richtlinien, die jegliche Diskriminierung, Veröffentlichungen persönlicher Informationen sowie sexueller, beleidigender und gewalttätiger Inhalte untersagt. Jodel, die diese Vorschriften verletzten, werden umgehend von einem eigens dafür eingestellten Team gelöscht, das rund um die Uhr arbeitet.
Ich selber wurde durch eine Freundin auf die App aufmerksam. Was anfangs für mich absolutes Neuland war, wurde schnell zu einer Sucht. Neben den lustigen Sprüchen und Witzen sind es nämlich besonders die alltäglichen Belange der Menschen, die mich interessieren. Jodel wird in erster Linie von Studenten und jungen Erwachsenen ähnlicher Lebenssituationen genutzt. Dadurch ergeben sich häufig Fragen und Erzählungen, die den eigenen Alltag betreffen oder betrafen. Wie gehe ich mit Beziehungsproblemen um? Wo gibt es das beste Eis? Wer hat meine Katze gefunden? Beinahe auf jedes Anliegen bekommt man hier eine ehrliche, freundliche und vor allem hilfreiche Antwort (hin und wieder durchmischt mit einigen eher scherzhaft als böse gemeinten Kommentaren). Dabei ist es vor allem die Anonymität, die diesen offenen Austausch ermöglicht und einem die Scheu nimmt, Themen anzusprechen, die einem im eigenen Umfeld möglicherweise unangenehm wären.
Ich habe in den letzten Wochen viele Erkenntnisse durch Jodel gewonnen, die zwar mein Leben nicht grundlegend ändern, aber zumindest einige Grundsatzfragen beantworten konnten: Beispielsweise, dass Männer genauso verletzlich sind wie Frauen. Oder dass jeder, wirklich jeder eine Stelle an seinem Körper hat, die er optimieren möchte. Dass da immer jemand sein wird, der sich selbst die abstrusesten Gedanken auch schon einmal gemacht hat. Und dass es gar nicht so kompliziert ist, meinen Strom- und Gasanbieter zu wechseln.
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