Fotografieren wie vor 200 Jahren
Ich liebe es, mir alte Fotos anzuschauen. Fotos, die in den verschiedensten Phasen meines Lebens entstanden sind. Teils in der Kindheit, teils in der Jugend, und teils erst vor wenigen Jahren. Manchmal nehme ich mir bewusst Zeit dafür, setze mich ein oder zwei Stunden hin und schaue durch meine Fotosammlung durch. Jedes Bild erzählt seine eigene Geschichte. Und sie alle gemeinsam fügen sich irgendwie zu einer Lebensgeschichte zusammen. Hin und wieder stoße ich dabei auf Erlebnisse, an die ich gar nicht mehr richtig gedacht hatte – wie es bei diesem Foto hier der Fall war.
Man mag denken, dass das Bild aus dem 19. Jahrhundert stammt. Tatsächlich ist es aber nur vor etwas mehr als drei Jahren gemacht wurden. Und zwar habe ich damals an einem Workshop namens Camera Obscura teilgenommen. Auf Deutsch auch Lochkamera genannt. Wir haben dort drei Tage lang komplett analog fotografiert, das heißt, zuerst musste die Kamera selbst hergestellt werden, dann wurden die ersten Testbilder belichtet und schlussendlich haben wir die Fotos auch selbst entwickelt.
Ausgangspunkt war dabei eine einfache Blechdose mit abnehmbarem Deckel. In die Blechdose musste vorne ein Loch hineingeschnitten werden, vor welches dann ein kleines schwarzes Stoffstück geklebt wurde. In dieses schwarze Stoffstück wurde ein weiteres Loch gepiekst, diesmal aber ein winzig kleines, welches dann sozusagen als Kameralinse diente. Schließlich kam noch ein schwarzes Stück Filz, das an einem Gummiband befestigt war, dazu. Es war dafür da, das Belichtungsloch der Linse zu öffnen und zu schließen – also um die Belichtungszeit des Fotos zu bestimmen. Bevor man aber fotografieren konnte, war noch eine Halterung für das Fotopapier nötig. Die haben wir einfach aus Pappe gebastelt und innen in der Blechdose befestigt.
Und dann konnte man auch schon loslegen. Es wurde sich ein Motiv ausgesucht, ein Stück Fotopapier in die „Kamera“ eingelegt und dann das Ganze an einen stabilen Standort gestellt. Das schwarze Filzstück vor der Linse haben wir nach oben geschoben, um die Linse zu öffnen und somit den Prozess des Fotografierens zu starten – und dann haben wir testweise ungefähr drei Minuten gewartet, bis wir das Filzstück wieder vor die Linse geschoben haben, damit kein weiteres Licht einfiel. Und haben gehofft, dass die Belichtungszeit zufällig schon beim ersten Mal passend war.
… Was natürlich nicht der Fall war, denn das war gar nicht so einfach. Wie lange wir belichten mussten, hing nämlich einerseits davon ab, wie gut oder schlecht das Tageslicht war, andererseits aber auch davon, wie groß wir unsere Löcher geschnitten hatten. Dadurch wurde alles natürlich noch etwas komplizierter, da jede Lochkamera wirklich individuell war und mit verschiedenen Belichtungszeiten und Lichteinstrahlungen besser funktionierte.
Dazu kam, dass nach dem Fotografieren immer mehrere Stunden Zeit vergingen, bis wir überhaupt sehen konnten, was aus dem Bild geworden war, da das Foto schließlich noch entwickelt werden musste. Dafür brauchten wir eine Dunkelkammer, da ja kein weiteres Licht auf das Foto einfallen durfte. Wir haben also einen Raum komplett abgedunkelt und hatten dort drei chemische Lösungen stehen. Einfach gesagt: den Entwickler, den Stopper und den Fixierer. Die Fotos wurden nacheinander in die drei Lösungen gelegt, danach noch mit Wasser neutralisiert und am Ende auf Wäscheleinen zum Trocknen aufgehängt.
Und so einfach – oder eben auch nicht einfach, je nachdem wie man es sehen will – kann man fotografieren. Ohne viel Technik. Einfach nur mit einer Blechdose. Es hat zwar viel Ausprobieren in Anspruch genommen und es gab viele Fotos, die gar nichts geworden sind und zum Beispiel komplett schwarz oder komplett weiß waren. Dafür hat man sich aber umso mehr gefreut, wenn ein Foto gut geworden ist. Und es steckt einfach viel mehr Spannung dahinter, wenn erst am Ende im Entwicklungsprozess das Motiv sichtbar wird.
Foto: Eigene Aufnahme