Genie im Studio

Musiktipp

Was ist gute Musik? Keine einfache Frage. Natürlich ist das eine Ansichtssache und jeder hat seinen eigenen Musikgeschmack. Mir ist es z. B. wichtig, dass ich die von mir gern gehörte Musik, in jeder Lebenslage hören kann. Sei es beim Kochen, beim Lesen, beim Autofahren, beim Putzen, beim Schreiben bestimmter Texte, beim Essen oder beim Entspannen. Gute Musik muss für mich immer passen und viele verschiedene Stimmungen ansprechen, positive wie negative. Das macht gute Musik für mich aus. Wenn dann auch noch eine schöne, eindringliche Stimme hinzukommt und jeden Ton und Klang ausfüllt, hat der Künstler für mich alles richtig gemacht. Dieses Gefühl hatte ich in der vergangenen Woche, als ich das neue, posthum veröffentlichte Album von Prince gehört habe. Zwei Jahre nach seinem Tod veröffentlicht, nimmt Prince in „Piano & A Microphone 1983“ die Zuhörer mit zu sich ins Heim-Aufnahmestudio. Nur Prince, ein Piano und ein Mikrofon.

Für 35 Minuten ist man Prince ganz nah. Es sind 35 Minuten, in denen er noch kein Superstar war, kurz vor seinem großen Durchbruch. Vielleicht ist das der Grund, warum sich Prince in diesen 35 Minuten so entspannt anhört, losgelöst, leidenschaftlich und konzentriert zugleich. Man ist sozusagen beim kreativen Prozess dabei und begleitet Prince in diesen 35 Minuten beim Erschaffen und Ausprobieren seiner Ideen am Piano. Die Stimmung ist intim, der Sound verspielt und unbearbeitet. Dann ist da noch diese Stimme, diese unfassbar eindringliche Stimme, die am Anfang fragt: „Is that my echo?“, und dann loslegt und den späteren Klassiker „17 Days“ anstimmt. Zwischendrin hört man das für ihn typische Jazz-Blues-Pop-Piano-Solo – die Bebop-Spielweise des Prince. Der Entstehungsprozess seiner Ideen für die Songs, die er anstimmt aber noch nicht fertig entwickelt hat, sind in diesen 35 Minuten spürbar. Man hört ihn beatboxen, man hört, wie er Instrumente imitiert und den Takt mit Hand oder Fuß angibt. Für 35 Minuten ist man in seiner Welt. In der Welt, bevor Prince weltberühmt wurde. Was er nicht in Worte fassen kann, erzählt das Piano.

Seine Interpretation des afroamerikanischen Spirituals (eine in den USA mit Beginn der Sklaverei entstandene christliche Liedgattung) „Mary Don‘t You Weep“, das von Sklaven als Zeichen des Protestes gesungen wurde, ist besonders kraftvoll und zeigt alle Stimmfarben und Stimmhöhen, die Prince beherrschte. Für mich ist „Mary Don‘t You Weep“ das stärkste Stück der Platte, denn das Lied nimmt die Zuhörer mit auf eine Reise, man kommt Prince und seiner Welt irgendwie ein Stückchen näher und meint zu verstehen, was er ausdrücken möchte.

„Why The Butterflies” ist neben „Wednesday” und „Cold Coffee & Cocaine” einer von drei bisher unveröffentlichten Liedern, die “Piano & A Microphone 1983” bereithält. „Why The Butterflies” gehört ebenfalls zu meinen Lieblingstücken dieses Albums. Ohne viel Text, doch mit so viel Gefühl gesungen. Die Hörer des Stücks können sich ihre eigenen Zeilen zur Melodie und zu der immer wiederkehrenden Zeile  „Mama, why the butterflies”, „Where am I, what’s this dream? Strange.” oder “Where is Father?” ausdenken. Beim Hören von „A Case of You“ schließt man automatisch die Augen und fühlt den Schmerz mit. Eine erste Skizze zum späteren Welthit „Purple Rain“ ist ebenfalls zu hören – wenn Prince die Zeilen anstimmt, bekommt man Gänsehaut und wünscht sich, das ganze Stück in dieser Version zu hören. Schade, dass die Probe etwa nur eine Minute dauert.

Ist die Veröffentlichung eines solchen Albums im Sinne von Prince? Vermutlich nicht. Er war als Perfektionist bekannt und hätte wahrscheinlich ungern Lieder veröffentlicht, die sich noch in der Entstehungsphase befinden und noch den nötigen Feinschliff benötigen. Für Außenstehende ist das im Falle von Prince wohl eher irrelevant, vor allem, wenn sich die unfertigen Stücke so dynamisch, gefühlvoll und authentisch anhören. Und wenn es darum geht, Prince von einer anderen Seite zu zeigen und einen Einblick in seine Arbeit zu gewinnen, ist diese kurze Reise eine schöne und kreative Art und Weise, diese Geschichte von ihm selber erzählen bzw. singen zu lassen. Für 35 Minuten kann hat man die Illusion, Prince richtig nahe zu kommen, quasi in seinem Wohnzimmer zu sitzen und ihn beim Pianospielen zu erleben.

„Diese rohe und gleichzeitig intime Aufnahme, die am Vorabend seiner Weltkarriere entstand, kurz bevor er zum internationalen Star wurde, ähnelt im Format der Piano & A Microphone Tour, mit der er seine Karriere im Jahr 2016 beendete“, so sein Berater, Troy Carter.

Seine letzte Tour 2016, nannte Prince ebenfalls „Piano & A Microphone“. Manchmal braucht es eben nicht mehr. Nur ein Piano, ein Mikrofon – und Prince.

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