Was soll das Theater?
Vor einigen Wochen durfte ich einen Workshop in einem Theater geben. Dort gab es eine kleine Gruppe von Jugendlichen, die sich über ein spezifisches Thema informieren wollten und deswegen externe Projektmitarbeiter_innen eingeladen hatten. Die Jugendlichen gehörten zu einer Theatergruppe, die sich einmal pro Woche nach der Schule für mindestens vier Stunden trifft und jeweils innerhalb eines halben Jahres ein Stück erarbeitet, das am Ende im Stadttheater aufgeführt wird. Die Jugendlichen waren etwa zwischen 13 und 19 Jahre alt.
Während des Workshops wurden wir in die Gruppe integriert und nahmen auch an einigen theaterpädagogischen Übungen teil. Dabei ging es hauptsächlich darum, die eigene Körperlichkeit zu finden, um den Körper im Schauspiel als Einheit und Ausdrucksmittel einsetzen zu können. In der Schule werde das Stillsitzen und Leisesein antrainiert; dies müsse überwunden werden, um frei spielen zu können, wurde uns erklärt. Dafür müsse manchmal eine ganze Stunde aufgewendet werden; nur um die Schüler_innen aus ihrem Schul- und Alltagsmodus herauszubekommen und wachzurütteln.
Für mich waren diese Ich-gehe-aus-mir-selbst-heraus-Übungen nicht ganz unbekannt, aber doch so lange her, dass meine Schamgrenzen schneller erreicht waren, als mir lieb war. An meiner alten Schule gab es auch immer eine Theater-AG, wo solche Erfahrungen gemacht werden konnten. Dort wurden aber nur sehr selten klassische Stücke aufgeführt – oder sagen wir: Meist wurde es den Schüler_innen zugemutet, Schüler zu spielen. Nicht, dass die Schule an sich nicht schon ein großes Schauspiel wäre, bei dem alle den lieben langen Tag beschäftigt sind, ihren Rollen gerecht zu werden; diese Reduzierung des Theaters auf die Lebenswirklichkeit der in ihm Aktiven nimmt auch einen großen Teil der Erfahrbarkeit von Fremdheit.
In der Kleinstadt, aus der ich komme, ist Theater sehr auf Schultheateraufführungen und unterhaltsame Freilichtspiele beschränkt. Das Stadttheater ist mehr Veranstaltungsstätte als Herberge eines Ensembles und der bekannte Anbieter für Schauspielunterricht nahm schon damals 60 Euro im Monat pro zu unterrichtendes Kind – ein für viele Familien nicht erschwinglicher Preis.
Jetzt lebe ich in der Metropole Ruhr. Als Student kann ich sogar kostenlose Restkarten für das Stadttheater bekommen und auch sonst gibt es unzählige Möglichkeiten, mit Studierendenrabatten kostengünstig Kulturveranstaltungen zu besuchen. Ich empfinde dies als großes Geschenk.
Zugang zu all diesen Traumwelten zu haben, zu dieser Alltagsflucht, zu dieser künstlerischen Auseinandersetzung mit der realen Welt, ist Glück.
Den Kindern der Theatergruppe konnte ich ansehen, wie viel ihnen diese Gruppe bedeutet und wie sehr sie diese Proben, die für sie auch viel zusätzliche Arbeit bedeuten, als Ergänzung und Ausgleich zur Schule brauchen. Der Zugang zu Kultur und Kunst kann ein wichtiges Puzzleteil in der Persönlichkeitsbildung von Jugendlichen sein und das Theater und eigene Schauspiel bieten eine besonders gute Möglichkeit zur Auseinandersetzung mit Identität und Gesellschaft. Wir sollten daran arbeiten, auch Menschen in ländlicheren Gebieten mehr Teilhabemöglichkeiten zu verschaffen. Und wir sollten das pulsierende kulturelle Leben des Ruhrgebiets mehr wertschätzen und auch nutzen. Auch wenn wir Studierende oftmals das Gefühl haben, dass uns Arbeit und Universität über den Kopf wachsen, ist das Studium eine Zeit, um sich selbst auch menschlich zu entwickeln. Dem sollte Wert und Zeit beigemessen werden.