Wie Sprache Wirklichkeit schafft

Können Bezeichnungen und Worte bereits durch ihren Gebrauch aufgeladen sein? Die Sprache des Nationalsozialismus, als empirisches Beispiel, lässt wohl nur eine affirmative Antwort zu. Man denke hierbei an sprachliche Konstruktionen wie Entjudung, Ausmerzung oder den Gebrauch des Adjektivs fanatisch während der NS-Diktatur. Abseits dieser klar umrissenen Thematik soll überlegt werden, wie gewisse sprachliche Verfasstheiten unseren Alltag verändern können. Wie der Philologe Victor Klemperer treffend und hellsichtig bemerkt: „Sprache dichtet und denkt nicht nur für mich, sie lenkt auch mein Gefühl, sie steuert mein ganzes seelisches Wesen, je selbstverständlicher, je unbewußter ich mich ihr überlasse (Klemperer 1975: 21).“ Man kann nun annehmen, dass wenn sich die Sprache ändert, sich auch das Wesen des Einzelnen ändern kann.

I Wirkung und Kontext

Was erzeugen wir, wenn wir gewisse Begriffe und Bezeichnungen verwenden? Nun, in einer Bezeichnung kann ein gewisses Werturteil immanent enthalten sein, das a priori – also vor aller Erfahrung – die Haltung eines Menschen gegenüber einem anderen teildeterminiert. So macht es durchaus einen Unterschied, ob wir von einem Angehörigen der Sinti sprechen oder von einem Zigeuner. Dies liegt nicht unmittelbar im Wort selbst, sondern eine intendierte oder nicht intendierte Abwertung des Gegenübers ist gekoppelt an die verschiedenen Konnotationen, die die Bezeichnung Zigeuner nach sich zieht. Ein anderes Beispiel für die Verknüpfung von Assoziationen und Begriff ist die Bezeichnung arbeitslos.

Sprechen wir etwa von einem Arbeitslosen oder den Arbeitslosen, so definieren wir eine heterogene Gruppe ausschließlich über einen Zustand – den Mangel an Arbeit, anders X hat keine Arbeit. Nun ist diese Bezeichnung sicherlich weit verbreitet, kann jedoch aufgrund der verschiedenen Begriffsnexus eine abwertende Bedeutung transportieren. Problematisch ist also nicht der Begriff an sich, sondern dessen Verwendung und mitschwingende Bedeutungsebenen, schließlich bezeichnet Arbeitslos-sein, erst einmal nur eine fehlende Lohnanstellung. Zwar wird ein Mensch so notwendig durch einen Mangel charakterisiert, problematisch wird diese Bezeichnung erst durch die mit ihm verbundenen Sinnkomplexe. Mit Arbeitslosigkeit wird mitunter Faulheit, mangelnde Initiative, Eigenverschulden und vielleicht auch ein gewisses Maß an Laisser-faire verbunden. Ist diese Verbindung gerechtfertigt? In Bezug auf eine Einzelperson kann dieser Schluss oder eher diese Einschätzung gerechtfertigt werden. Vielleicht befindet sich in meinem Umfeld jemand, über den ich suffiziente Informationen diesbezüglich habe. Wird diese Annahme allerdings generalisiert, so scheint kein gültiger Schluss mehr vorzuliegen. Im Zuge der Begriffs- und Kategorienbildung könnte somit sprachlich differenziert werden. Man könnte zum Beispiel von Arbeitssuchenden sprechen. Auch die im angloamerikanischen gebräuchliche Floskel in between Jobs-Sein scheint brauchbar.

Der Anteil an denjenigen, die sich grundsätzlich einer Arbeit verweigern – die Frage nach einer Berechtigung einer solchen Haltung soll hier nicht beantwortet werden – liegt, entgegen dem Klischee, äußerst niedrig, wie Erhebungen des Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung nahelegen. Nun handelt es sich beim Begriff arbeitslos, um einen von gesellschaftlicher Steuerung relativ unabhängigen Begriff, der zwar problematisch, aber doch diskursiv – in seinen inhaltlichen Verquickungen – in den gesellschaftlichen Sprachgebrauch implementiert wurde. Gleichwohl steigt durch die sprachliche Abwertung auch die Wahrscheinlichkeit im direkten Kontakt herabzuwürdigen.

II Kontext und Gewöhnung

Sprachliche Entwicklungen, begriffliche Zuschreibungen und normative Gehalte entstehen im gesellschaftlichen Diskurs. Ergebnisse, die aus diesem entstehen, sind zwar nicht immer normativ wünschenswert, jedoch relativ herrschaftsfrei entstanden. Gefahr für eine Öffentlichkeit, eine Gesellschaft entsteht im sprachlich-diskursiven Feld, wenn eine ideologisch gefärbte Lenkung Sprachregelungen oktroyiert. Als Beispiel soll hier die Sprache des Nationalsozialismus dienen. Der Philologe Victor Klemperer beschreibt in seinem herausragenden Werk Lingua Tertii Imperii die Wirkung einer gerichteten Sprachpolitik auf das Bewusstsein der deutschen Bevölkerung während des Nationalsozialismus. So bemerkt er gravierende Auswirkungen – ausgelöst von der Gleichschaltung der Schriftsprache – auf den täglichen Sprachgebrauch: „alles schwamm in derselben braunen Soße, und aus dieser absoluten Einheitlichkeit der Schriftsprache erklärte sich denn auch die Gleichheit der Redeform (Klemperer 1975: 18).“ Dies kann nicht verwundern, so hat doch die mediale Diät massiven Einfluss auf den Sprachgebrauch von Menschen. Eine ausreichende Exposition vorausgesetzt, kann somit mit einer Wirkmacht der Schriftsprache bis in das tägliche Leben hinein gerechnet werden.

Dies ist, wie gesagt, nicht übermäßig verwunderlich, jedoch vor dem Hintergrund bedenklich, dass Sprachregelungen kritiklos übernommen werden. Dabei stellt Klemperer die These auf, dass „der Nazismus glitt in Fleisch und Blut der Menge über durch die Einzelworte, die Redewendungen, die Satzformen, die er ihr in millionenfachen Wiederholungen aufzwang und die mechanisch und unbewußt übernommen wurden (ebd.: 21).“ Gerade die unbewusste An- und Aufnahme von Begriffen, ohne deren Bedeutung zu hinterfragen, erinnert an aktuelle Diskurse. Die unkritische Nutzung von Begriffen führt zu ihrer Normalisierung, zu ihrer Etablierung im gesellschaftlichen Diskurs. Vor dem Hintergrund des Nationalsozialismus ist diese Wirkung von Sprache – als Machtinstrument – ganz besonders erschreckend und erschreckend aktuell.

Ideologisch werden dabei die Pluralität der Sprache und die Einzigartigkeit des Ausdrucks, so gleichgeschaltet wie Presse und Vereine. Eben hier liegt auch die Verbindung der LTI mit der völkisch-kollektivistischen Ideologie des Nationalsozialismus: „Die LTI ist ganz darauf gerichtet, den einzelnen um sein individuelles Wesen zu bringen, ihn als Persönlichkeit zu betäuben, ihn zum gedanken- und willenlosen Stück einer in bestimmter Richtung getriebenen und gehetzten Herde, ihn zum Atom in einem rollenden Steinblock zu machen (ebd.: 29).“

III Gewöhnung und Gefahr

Wenn eine der Vorbedingungen der NS-Gräuel die sprachlich-ideologische Durchdringung war, dann muss in aktuellen Kontexten mit wachem Auge auf den herrschenden Diskurs geblickt werden. Gerade die Akteure der Neuen Rechten haben es vermocht, den Diskurs zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Begriffe und Meinungen, die vormals nicht hätten geäußert werden können, sind salonfähig geworden. Der Autor Enno Stahl sieht in der Tolerierung rechten Gedankenguts eine Novität, die „bis vor kurzem kaum … denkbar gewesen“ sei, denn „[b]estimmte Redebeiträge wären sofortiger Sanktionierung anheimgefallen (Stahl 2019: 9).“ Und in der Tat lässt sich eine gesellschaftliche Diskursverschiebung konstatieren. Hasskommentare, Morddrohungen, Hetze gegen Ausländer, Juden und Muslime sind in unschöner Regelmäßigkeit in den digitalen Netzwerken, aber auch in den Medien zu beobachten. Für Stahl sind diese Vorkommnisse Beleg dafür, dass „rechtes Gedankengut in unserer Gesellschaft Fuß fasst, nicht nur an den Rändern, sondern in der bürgerlichen Mitte (ebd.).“ Auch diese Beobachtung ist richtig, überrascht jedoch nicht. Latente reaktionäre Tendenzen, waren immer anzunehmen gewesen. Nur dass diese Tendenzen nun offen zutage treten.

Das Aufkommen rechter Positionen ist dabei Ergebnis der ideologischen Arbeit der Neu-Rechten Akteure, die zusammen mit politischen Akteuren die Verankerung zentraler Begriffe im gesellschaftlichen Mainstream anstreben. Begriffe wie Ethnopluralismus, die Konstruktion von Identitätsbegriffen (Ius sanguinis) und die Bedrohungsszenarien eines großen Austausches dienen der schleichenden Diskursverschiebung nach extrem rechts.

Dabei bedient sich die Neue Rechte der Strategie des Framings und Reframings. Begriffe werden in spezifischen Kontexten verwendet und erhalten so eine dezidiert normative Aufladung. Gleichzeitig arbeiten diese Akteure daran, verbrämte Begriffe wie Nation oder Volk positiv aufzuladen.

Korrekterweise konstatiert Enno Stahl: „Offensichtlich ist die Saat der Neuen Rechten aufgegangen (ebd.: 55).“ Nun braucht auch die beste Strategie eine Situation, in der sie erfolgreich angewandt werden kann. Stahl führt den bisherigen Erfolg der Neuen Rechten auf sozioökonomische Grundbedingungen zurück:

„Das eh schon geschundene Selbstbewusstsein der Deklassierten – solcherart mit persönlicher Abwertung konfrontiert – bäumt sich auf und sucht sich, wie so oft in der deutschen Geschichte, noch Schwächere als wohlfeile Sündenböcke, statt dort zu rebellieren und seine legitimen Ansprüche geltend zu machen, wo diese tatsächlich verhandelt werden (ebd.: 55).“

Dieser These ist zuzustimmen. Angst vor sozialem Abstieg und dem Verlust des sozialen Prestiges richtet sich eben nicht gegen die gesellschaftliche Ungleichverteilung und stellt auch nicht die soziale Frage, sondern nimmt das dankend an, was als Sündenbock präsentiert wird. Populistische Strategien der Vereinfachung und Polarisation werden dankbar an- und aufgenommen. Der Diskurs verschiebt sich weiter nach rechts und tritt in Wechselwirkung mit der gesellschaftlichen Realität. Dieses Ergebnis, den privaten Raum zu erobern, die Sprache zu radikalisieren und den Einzelnen somit zu Apathie gegenüber moralischen Positionen zu treiben – also Metapolitik zu betreiben – ist die eigentliche Strategie der Neuen Rechten und eine große Herausforderung für die Demokratie.

Es braucht effektive Gegenmaßnahmen gegen die Verrohung des Diskurses und ein kritisches Bewusstsein in Bezug auf Sprache. Sprache kann eben durch immanente Sinngehalte von Begriffskonstruktionen Bedeutungen transportieren, die mitunter unreflektierten Vorurteilscharakter haben. Diese Vorurteile zu ihren Gunsten zu nutzen oder sie gar zu konstruieren, ist der Neuen Rechten bisher allzu gut gelungen. Eine kritische Sprachreflexion des Einzelnen scheint notwendig zu sein, um ungewollten und menschenverachtenden Positionen entgegentreten zu können. Gleichwohl kann nicht von jedem Menschen erwartet werden, seinen Sprachgebrauch ständig zu reflektieren, dies wäre schlicht nicht praktikabel. Von Zeit zu Zeit muss es dennoch angeraten sein, sich selbst mit dem eigenen Sprachgebrauch zu beschäftigen und sich zu fragen, ob ich das, was ich aussagen will, auch wirklich aussage: Oder ob Bedeutungen mitschwingen, die ich nicht teile.

Eine kritische Sprachhaltung könnte sich an folgendem Satz ausrichten:

„Weder soll der Mensch sich die Sprache, noch die Sprache sich den Menschen gefügig machen (Scharang 2020: 1).“

Literaturverzeichnis
Klemperer, Victor. 1975. LTI. Notizbuch eines Philologen. Leipzig: Reclam.
Scharang, Michael. 2020. Für meinen Freund. Anstelle eines Nachrufs. Konkret (2): 1.
Stahl, Enno. 2019. Die Sprache der Neuen Rechten. Populistische Rhetorik und Strategien. Stuttgart: Kröner.

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