Buchvorstellung: The Circle

Heute mal was anderes: eine Empfehlung zum Lesen für alle, die gerne dystopische Literatur à la 1984 oder Schöne neue Welt lesen. Der Roman “The Circle” von Dave Eggers (2013) geht in eine ähnliche Richtung, aber auf eine doch andere Art und Weise. Es liegt schon einige Jahre zurück, dass ich das Buch gelesen habe, und es gehört für mich zu diesen wenigen Geschichten, die mich bis heute nicht so ganz loslassen. Wie in allen dystopischen Werken wird auch hier ein Zukunftsszenario entworfen, welches angesichts der aktuellen Entwicklung der Gesellschaft natürlich einen Extremfall darstellt, aber wenn man genauer hinschaut, doch gar nicht so weit von der Realität entfernt ist.

Die Hauptfigur im Buch ist die 24-jährige Mae Holland, die eine neue Anstellung beim weltweit führenden Internetkonzern “Circle” erhält. Den Circle kann man sich in etwa vorstellen wie eine Kombination aus Google, Facebook, Apple und Twitter – eine soziale Medienmacht, die alle diese Felder in sich vereint hat. Alle Kunden werden mit einer einzigen Netzidentität ausgestattet, über die dann alles abgewickelt werden kann. Keine Passwörter mehr, die man sich merken muss; keine verschiedenen Konten und Nutzernamen; keine Verwirrung… Scheint erstmal ganz praktisch. Auch eigene Wohnheime bietet der Circle den Mitarbeitern. Das Leben dort ist wie eine eigene kleine Welt: Jeden Abend findet irgendwo eine Party statt, internationale Popstars geben Konzerte, es gibt kostenlose Mahlzeiten von Sterneköchen, und massenhaft Freizeitaktivitäten, an denen die Mitarbeiter des Circle teilnehmen dürfen – oder besser gesagt sollen.

Nach kurzer anfänglicher Unsicherheit und Skepsis stürzt die junge Mae sich voller Begeisterung in ihr neues Leben. Sie beginnt in der Kundenbetreuung und bearbeitet täglich eingehende E-Mail-Anfragen, steigt aber schnell im Unternehmen auf und verliert sich völlig in der Vision des Konzerns. Vernetzung und Transparenz stehen im Mittelpunkt. Jede kleine Aktivität soll gefälligst im Circle-Netzwerk geteilt und bewertet werden – ansonsten hat sie nicht stattgefunden, so das Credo. Je mehr Reaktionen und Kommentare es gibt, umso höher das Ansehen und die Beliebtheit der Person. Kurz gefasst: Es besteht Auskunftspflicht über alles.

Hinter der ganzen Kontrollwut steckt ein eigentlich gut gemeinter Gedanke: Wer keine Geheimnisse mehr hat, kann auch nichts Böses oder Amoralisches tun. Wenn nur die ganze Welt transparent wäre, sich überwachen ließe und begeistert ihr Leben im Netz teilen würde, so gäbe es kaum noch Straftaten – oder notfalls könnten diese direkt aufgedeckt, geklärt und bestraft werden. Um diesen Gedanken auf die Spitze zu treiben, entwickelt der Circle eine Reihe hochentwickelter Technologien, die vollkommene Transparenz ermöglichen sollen, darunter SeeChange: kleine, tragbare Kameras, die in Echtzeit Videos an jeden beliebigen Ort übertragen. Einige Politiker tragen diese Kameras bereits 24 Stunden lang bei sich, um gänzlich transparent zu sein, und auch Mae stimmt letztendlich zu, stattet ihre Wohnung mit Kameras aus und trägt eine konstant bei sich.

Maes Job besteht nun vorrangig daraus, ihr Leben auf dem Firmencampus zu dokumentieren und Kunden neue Produkte vorzustellen. Dabei hat sie unzählige Zuschauer, die ihrem Geschehen im Netz tagtäglich folgen und in Dauerschleife kommentieren. Dass Maes “neues Leben” nicht überall gut ankommt, ist zu erwarten… Es kommt zu Problemen mit ihren Eltern, sowie mit ihrem ehemaligen Freund Mercer, der schließlich in einer extremen Kontrollsituation sogar Selbstmord begeht – doch nicht einmal nach diesem Vorfall wird Mae bewusst, was die so naiv beschönigte “Transparenz” anrichten kann. Sie bleibt natürlich weiter beim Circle und redet sich die Sache schön.

Mae prägt das Unternehmen maßgeblich mit und trifft Aussagen wie „Geheimnisse sind Lügen“, „Teilen ist heilen“ oder „Alles Private ist Diebstahl“, die später zu Leitsätzen des Circle werden. Eine traurige schön geglaubte Welt, in der sie lebt. Dennoch gibt es immer wieder Versuche von außen, Mae vorzuhalten, dass nicht alles so gold glänzt, wie es ihr erscheint – leider aber meistens erfolglos.

Der Roman zeichnet das Bild einer Überwachungsgesellschaft, die zutiefst an ihre Utopie glaubt. Datenschutz gibt es hier kaum noch. Totale Transparenz und vollständige Vernetzung werden als Allheilmittel für eine kaputte Welt deklamiert. Privatsphäre ist falsch und schlecht, und ein bloßes “Hindernis” für die Scheinsicherheit, die hier aufgebaut werden soll.

Das Buch wurde auch bereits verfilmt, jedoch mit gespaltenen Kritiken. Meiner Meinung nach ist der Film durchaus sehenswert und nicht schlecht gemacht, wenn auch das Drehbuch an einigen Stellen vom Buch abweicht – jedoch halte ich das Buch für deutlich lesenswerter, als der Film sehenswert ist.

“Ach, wer ist denn schon so verrückt und filmt sein komplettes Leben?”, mag sich der ein oder andere fragen. 24 Stunden lang komplette Transparenz? Das macht doch im echten Leben keiner. Oder? Naja, wie schon im Eingangstext erwähnt, dieses Buch ist gar nicht so weit von der Realität entfernt, in der wir bereits heute leben. Alles natürlich ohne Zwang. Aber auf der Plattform YouNow streamen Leute ihr Leben. Hier kann vielleicht noch nicht von totaler Transparenz die Rede sein, aber doch von Einblicken in das tägliche Leben. Es wird vor der Kamera performt, musiziert, getanzt, erzählt und alles mögliche gemacht, was Klicks bringt. Und damit kann ‘ne ganze Menge Geld verdient werden, weil es im Umkehrschluss eben auch diejenigen gibt, die nicht selbst vor die Kamera gehen, sondern lieber zuschauen und auf Spendenbasis für das zahlen, was sie sehen.

Es gibt sogar Menschen, die vor dem Schlafengehen eine Kamera in ihrem Zimmer aufstellen und sich beim Schlafen filmen. Warum? Naja, weil es Menschen gibt, die Geld dafür zahlen, anderen beim Schlafen zuzusehen. Teilweise starren diese Leute dabei auf einen schwarzen Bildschirm – denn es ist ja Nacht, das Licht ist aus. Der Gründer von YouNow, Adi Sideman, begründet dieses Phänomen mit dem Suchtfaktor des Internets. Die Abhängigkeit von den sozialen Medien führe dazu, dass man sogar beim Schlafen diese Medien nicht ausschalten will. (“It’s the addiction to the internet, it’s the addiction to social media, it’s not wanting to leave it behind even when you’re sleeping.”)

Um noch einmal die Brücke zum Roman von Dave Eggers zu schlagen: “The Circle” nimmt diese Entwicklungen unserer Gesellschaft wunderbar wahr und entwirft ein Gesellschaftsmodell, in dem diese Technologien in brisant beschleunigter Relevanz aufblühen. Meiner Meinung nach ein großartiger Roman, der sehr pessimistisch, jedoch gekonnt vor möglichen Abgründen warnt, die die sozialen Medien und das Internet mit sich ziehen können.

Foto: Stephanie Hofschlaeger / pixelio.de