Immanuel Kants „Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf.“

Meldungen zur Corona-Krise überschlagen sich zur Zeit. Kommentatoren sprechen dabei von einer Rückkehr eines alten Konzepts, des des Nationalstaats. Es könnte angenommen werden, dass sich mit einer Rückbesinnung auf nationale Interessen auch die internationale Kooperation verändern könnte. Grundsätzlich ließe sich also die Frage stellen: Wie kann und soll eine internationale Staatengemeinschaft aussehen?

1. Einleitung

Das ideale internationale Staatensystem ist ein friedfertiges, darin sind sich wohl alle Menschen einig. Wie ein internationaler Friede geschaffen werden kann, beziehungsweise welche Akteurdispositionen Staaten dazu haben müssten, ist in der Politikwissenschaft, genauer im Feld der Internationalen Beziehungen, hoch umstritten. In diesem Artikel beschäftige ich mich mit der Frage, wie eine internationale Friedensordnung aussehen könnte und welche Voraussetzungen für ihre Konstitution notwendig sind. Dafür beziehe ich mich auf einen klassischen Text der Politikwissenschaft: Immanuel Kants „Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf.“

2. Historische Voraussetzungen und theoriegeschichtliche Einordnung

Die Schrift Zum ewigen Frieden stellt Kants einzige systematische Beschäftigung mit dem Thema Frieden dar. Kants Schrift wurde im Jahr 1795 veröffentlicht und ist mitunter als Antwort auf die Koalitionskriege nach der französischen Revolution zu verstehen, genauer wahrscheinlich als Replik auf den 1795 geschlossenen Baseler Frieden zwischen Preußen und Frankreich, grundsätzlich also mit einem starken Bezug zur politischen Praxis und Empirie (vgl. Saner 1995: 43; Dicke 2006: 373). In dieser Abhandlung, gestaltet in Form eines imaginierten Friedensvertrags, werden Bedingungen und Notwendigkeiten skizziert, die einen immerwährenden Frieden zwischen Staaten gewährleisten könnten. Dabei ist der Text, der damals gängigen juristischen Praxis gemäß, in sechs Präliminarartikel, die Vorbedingungen eines Friedensschlusses, und in drei Definitivartikel, die gesetzlichen Regelungen, gegliedert (vgl. Saner 1995: 44). Kants Schrift ist dabei als starke Kritik an der zeitgenössischen politischen Kultur und Rechtlichkeit des ius ad bellum zu interpretieren.

Eine rein historische Auslegung würde bei diesem zum Klassiker gewordenen Text der politischen Literatur sicherlich zu kurz greifen. Die Gültigkeit und die hohe Aktualität, die Kants Thesen innewohnen, sind größtenteils auf ihre Zeitlosigkeit und Losgelöstheit von spezifischen regionalen, politischen, kulturellen und religiösen Besonderheiten zurückzuführen. Denn Kant hat nicht einen bestimmten Frieden im Sinn, sondern die Abschaffung des gewalttätigen Konflikts überhaupt. Nach Kant soll der Krieg aus dem menschlichen Handlungsarsenal komplett ausgeschlossen, ja er soll geächtet werden, eine vollkommene theoriegeschichtliche Novität (vgl. Höffe 1995: 112). Der Topos des Friedens ist ein viel behandelter, da universaler, und darüber hinaus naturgemäß untrennbar mit dem Begriff des Krieges verknüpft. So ist es nicht verwunderlich, dass Kant die zwei vorherrschenden zeitgenössischen Denktraditionen als Grundlage seiner Theorie nutzt. Zum einen ist dies die in dem Projet pour rendre la Paix perpétuelle en Europe von Abbé de Saint-Pierre formulierte Möglichkeit eines zwischenstaatlichen Friedens. Dieser Frieden soll durch ein Schiedsgericht, besetzt mit Fürsten, zwischen Konfliktparteien gestiftet werden, ergo durch ein temporär supranationales Gremium, eine Idee, die Kant ablehnt und für undurchführbar hält. Zum anderen bezieht er sich auf den Hobbesschen Kontraktualismus, welcher ein Ende von kriegerischen Auseinandersetzungen durch einen für alle gültigen rechtlichen Vertrag vorsieht. Ebenso wie Hobbes entwickelt auch Kant seine Ideen einer Verrechtlichung des Friedens ausgehend von einem Naturzustand (vgl. Dicke 2006: 374-75). Während Hobbes Theorie auf einen innerstaatlichen und die Theorie Saint-Pierres auf einen zwischenstaatlichen Frieden ausgerichtet ist, verbindet Kant beide Gedankengänge zu einer Theorie, die ausgehend von einem innerstaatlichen Frieden den zwischenstaatlichen Frieden erst möglich macht. Ferner betrachtet Kant den (ewigen) Frieden nicht als singulär zu schaffendes Ereignis, sondern als das Ergebnis eines politischen Prozess (vgl. Dicke 2006: 378). Die Theorie Kants wurde schon von Zeitgenossen umfänglich rezipiert, erlangte allerdings erst Mitte des 20. Jahrhunderts wieder verstärkte Aufmerksamkeit, unter anderem auch durch die Diskussion um den Völkerbund (vgl. ebd.: 384). Überdies ist die Rolle Kants bei der Entwicklung des Theoriearsenals der Internationalen Beziehungen kaum zu überschätzen. Während sich der Liberalismus auf Kants These beruft, dass eine freiheitliche Staatsordnung die Außenpolitik eines Staates positiv hin zu friedlicher Kooperation zwischen Staaten verändern kann, so grenzt sich der Realismus von ihm ab. Nichtsdestoweniger lassen sich beide Theorieschulen als maßgeblich von Kant beeinflusst denken. Auch die dem Liberalismus entsprungenen Theoriezweige des Institutionalismus und des Transnationalismus zeigen sich vom kantischen Theorem beeinflusst (vgl. Schimmelfennig 2009: 138). Ebenso basiert auch das viel beachtete Forschungsprogramm des „demokratischen Friedens“ auf Kants Beitrag zur politikwissenschaftlichen Theorie (vgl. Schimmelfennig 2009: 138; Geis/Wagner 2006: 276). Die breite Rezeption lässt sich aber sicherlich auch durch die demokratische Staatenbildung des 20. Jahrhunderts erklären, als auch durch die bereits erwähnte Diskussion um den Völkerbund, dessen Nachfolgeorganisation im weiteren Verlauf der Arbeit thematisiert werden wird (vgl. Dicke 2006: 384). Dicke bemerkt hierzu: „Ihre Wirkmächtigkeit namentlich im 20. Jahrhundert erklärt sich vor allem aber wohl daraus, dass Kant mit seinem Entwurf einer auf Frieden gerichteten republikanisch-verantwortlichen Politik ihre Sprache gegeben hat“ (Dicke 2006: 373). Gerade aufgrund seiner Universalität ist Kant immer noch eine zentrale Institution innerhalb des Felds der Friedensforschung im Besonderen und im Feld der Internationalen Beziehungen im Allgemeinen.

Literaturverzeichnis

Dicke, Klaus, 2006: Immanuel Kant, Zum ewigen Frieden (1795), in: Manfred Brocker (Hrsg.), Geschichte des politischen Denkens. Ein Handbuch, Frankfurt a. Main 2006, S. 373-386.

Geis, Anna/ Wagner, Wolfgang, 2006: Vom „demokratischen Frieden“ zur demokratiezentrierten Friedens- und Konfliktforschung, in: Politische Vierteljahresschrift 47 (2), S. 276-309.

Höffe, Otfried, 1995: Völkerbund oder Weltrepublik?, in: Otfried Höffe (Hrsg.),Immanuel Kant. Zum ewigen Frieden, Berlin 1995, S. 109-132.

Saner, Hans, 1995: Die negativen Bedingungen des Friedens, in: Otfried Höffe (Hrsg.), Immanuel Kant. Zum ewigen Frieden, Berlin 1995, S. 43-68.

Schimmelfennig, Frank, 2013: Internationale Politik, Paderborn.

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