Im Gespräch mit Feridun Zaimoglu, dem Autor von „Kanak Sprak“ und „Liebesmale, scharlachrot“
Am Abend vor unserem Gespräch unterhielt Feridun Zaimoglu bei seiner Lesung den ganzen Saal mit seinen Büchern „Kanak Sprak“, „Liebesmale, scharlachrot“ und „Leyla“. Er plauderte aus dem Nähkästchen und warf einen Blick auf seine literarische Entwicklung. Am nächsten Morgen steht er wieder in einem Seminarraum in der Universität Dortmund, nach einer kurzen Raucherpause erscheint er immernoch entspannt zum Gespräch mit mir. Ein großes Bedürfnis von ihm zu diesem Zeitpunkt: Spaghetti Bolognese.
Es war ja gar nicht so einfach, Sie im Vorhinein zu kontaktieren. Per Email geht das ja nicht, warum ist das so?
Nein, ich habe keine Mailadresse. Schlicht und einfach deswegen, weil ich keinen Computer habe. Es ist keine Wahrnemungsverzerrung und keine Nostalgie. Ich schreibe alles auf der elektrischen Schreibmaschine, weil ich da besonders konzentriert bin. Mir gelingt es dann, oder ist es bislang gelungen, keine Seite ein zweites Mal zu schreiben. Also, ich hänge da der alten Schule an.
Ist das ein bewussteres Schreiben?
Also ich kann ja nicht aus der eigenen Erfahrung sprechen, aber ich habe es mir sagen lassen. Irgendwann fiel es mir nämlich auf, dass Kollegen und Kolleginnen, die auch im journalistischen Bereich arbeiten, darüber geklagt haben, dass sie, weil sie einen Bildschirm vor sich haben und alles reintippen, es plötzlich mit einer unabsichtlichen Sprachverhunzung zu tun hatten. Sie sagten, es sei ihnen dann irgendwann aufgefallen, dass sie zunächst einmal wie auf Kladde auch einen flüchtigen Gedanken aufschreiben. Man kann ja danach mit den Möglichkeiten eines Computers viel schieben, tilgen und löschen und nochmal schreiben und das wäre für mich der Tod. Also, ich kann so am besten arbeiten, es ist wirklich keine Nostalgie.
In einem Interview haben Sie auf die Frage, wie es Ihnen erginge, wenn Sie morgen wieder zur Uni gehen müssten, gesagt „Ich würde sofort schlechte Laune kriegen, wenn ich da als Student hinmüsste“. Gestern Abend und auch heute wirkten Sie recht gut gelaunt, wie gefällt Ihnen Ihre Position hier auf der anderen Seite in der Universität?
Ich gebe manches verkürzt wieder. Ich meinte damit , dass wenn ich wieder studieren müsste, wenn ich gewissermaßen darauf angewiesen wäre, benotet zu werden; wenn ich also ein bestimmtes Leben führen müsste. Im Anfang des Studiums ist man ja geradezu in feierlicher Stimmung, man hat gute Laune, weil man denkt die Zeit der großen Freiheit bricht an. Man kann über seine Zeit verfügen, man kann so lange aufbleiben, wie man will und man ist natürlich weg vom Elternhaus und hat vielleicht zum ersten Mal die Möglichkeit, wenn auch in einer WG, ein eigenes Zimmer für sich zu. Naja, also im Anfang, und das ist keine Illusion, ist ein freieres Leben möglich, aber sehr bald, ohne ins Detail zu gehen, stellt man fest, dass man natürlich Prüfungsbedingungen unterstellt ist. Also, ich habe gestern und heute sehr gute Laune gehabt. Es ist natürlich nicht das erste Mal, dass eine Universität mich einlädt und dass ich, ob das jetzt eine Gastproffessur ist oder eine Gastdozentur oder Workshops oder Lesungen an der Uni, vor einem eher studentischen Publikum lesen kann, mich behaupten kann. Mich behaupten in so fern, als dass ich versuche, so gut wie möglich die Menschen auch zu unterhalten. Ich habe beste Laune, fast immer beste Laune gehabt, weil es natürlich nicht darum geht, mich dahinzustellen und zu sagen, „so ist es“, sondern, weil das stößt wohl auf einige Gegenliebe, und ich verweise gerne auf meine eigenen Fehler . Es kommt dann immer ein sehr angeregtes Gespräch zu stande. Ja und ich habe natürlich gut Reden, weil ich nicht eingebunden bin in irgendeinen Lehrplan. Ich komme von außen und bin dann nach spätestens einer Woche wieder weg.
Sie haben gestern Abend gesagt, dass sie jeden Tag etwas schreiben – geradezu schreiben müssen – haben Sie heute schon was geschrieben?
Heute morgen nach dem Frühstück habe ich schon was geschrieben bzw. notiert. Mit Schreiben meine ich Folgendes: Entweder sitze ich an der Schreibmaschine, wenn ich in Kiel bin und arbeite weiter an einem angebrochenem Text oder ich fange einen neuen Text an, aber dazu gehören natürlich auch Notizen, die ich mir mache. Ich zeige Ihnen das mal. Ich habe in der linken Tasche der Hose immer einen gefalteten, manchmal auch eingerissen Zettel und einen Stift. Mit ‚Schreiben‘ meine ich, dass ich mir Notizen mache und hier sehen Sie, meinetwegen durchgestrichen, kleine Passagen und das liegt daran, dass ich das schon verwertet habe. Heute habe ich mir da Notizen gemacht zu einer Liebesgeschichte, einer Auftragsarbeit, und irgendwie kam ich da weiter.
Sie sind ja erkältet. Ihre Lesung gestern Abend stand auf der Kippe. Es ist durchgesickert, dass sie sagten „Entweder bin ich da, oder ich bin tot“. Würden Sie sagen, Sie machen keine halben Sachen?
Also man muss immer vorsichtig sein, wenn Männer sagen, sie machen keine halben Sachen. Bestimmt mache ich halbe Sachen. Aber ich habe mich auf die Lesung gefreut und ich dachte: „Himmel, ausgerechnet jetzt, also ausgerechnet jetzt habe ich den härtesten Schnupfen der letzten Jahre und ich habe drei Tage die Wohnung nicht verlassen, bin nicht rausgegangen. Freunde haben mir dann entweder eine Brötchentüte gebracht oder eine Tüte Milch, die waren dann so nett, mir in diesen drei Tagen zu helfen. Nach drei Tagen dachte ich: „Ja, ich schniefe zwar und ich bange um die Stimme, aber ich habe das Gefühl, ich mache das. Punkt.“ Mir geht es oft so: entweder-oder. Im wirklichen Leben ist es nicht so, es gibt da nicht diese ‚entweder oder‘. Meine Antwort bezieht sich gewissermaßen auf die Arbeit. Ich kann da nicht sagen: „Ja heute hab ich schlechte Laune“ oder „heute hab ich Kopfschmerzen“ oder „heute ist das Wetter besonders schön, da verzichte ich mal auf das Schreiben. Mein Gott, einen Tag Auszeit, das ist doch nichts, das erlaube ich mir mal“. Das geht bei mir nicht. Es hat weniger mit Härte zu tun, als viel mehr, damit dass ich das fortsetzen muss. Das Schreiben ist für mich wie eine Sucht. Ich gehöre zu denen, die wirklich, wenn sie nicht schreiben, an der eigenen Lebenstauglichkeit zweifeln. Also, in dem Sinne bin ich kein harter Mann, aber ich geh auf´s Ganze, ja.
Früher wurden Sie als „Punkliterat“ bezeichnet, trugen lange Haare, einen mehr oder weniger geschmackvollen Ledermantel – heute bezeichnen Sie sich als „Drogenspießer“, machen Lesungen mit Mineralwasser und Eukalyptusbonbons – sind Sie ein Spießer geworden?
Ach, wenn es so einfach wäre. Weder stimmte es, was damals über mich behauptete, noch stimmt es, was ich dadurch aussage. Wie spießig bin ich? Gerne verweise ich darauf, wenn es darum geht, aufzuzeigen, dass das eigene Scheitern zum Schreiben gehört. Wissen Sie, ich kenne dieses Gefühl nicht anzukommen. Ich kenne nur ein Gefühl der vorherrschenden Unruhe. Ich bin zu neugierig. Und ich liebe es natürlich, ich liebe den Job, den ich mache. Aber zu diesem Job gehört auch, schlecht zu träumen, schlecht zu schlafen, manchmal gar nicht schlafen zu können. Es gehört dazu, sich zu zerfleischen, weil der Zugang zu einer Figur, einer Geschichte, einer von mir erdachte Geschichte fehlt oder mir schwer fällt. Abgesehen von den Alltagssorgen. Bin ich spießig geworden? Manche sagen, er ist spießig geworden, weil er dazu gehört. aber ich muss ja von mir ausgehen. Weder steuer ich dagegen an, noch habe ich irgendwie gedacht, es geht jetzt darum, mich zu beweisen oder besonders strebsam zu sein oder mich besonders anständig zu zeigen oder dies ab einem gewissen Alter eben das nicht zu machen. Aber ich habe kein Gefühl für Alter, kein Gefühl für die Zeit, ich habe nur immer wieder ein Gefühl für Geschichten. Es kommt noch was hinzu, nämlich die Lebenslust. Ich wünschte manchmal, ich wäre spießig, aber am zweiten Tag, da ich Urlaub mache, drehe ich durch, bin fix und fertig. Ich fürchte, dass ich zu jenen gehöre, die bis zum Ende nicht etwa durchhalten, sondern verrückt spielen. In dem Zusammenhang befürchte ich, dass ich immer noch diese Kinderseele habe, diesen Kinderblick. Es gelingt mir also dann nicht, wider besseren Wissens, vernünftig zu sein. Das ist natürlich auch mit Kräfteverschleiß verbunden, das ist mir aber egal.
Vielen Dank für das Gespräch.