Perspektiven aufs Alleinsein

„Zuhause bleiben!“ heißt es nun seit fast zwei Monaten. Für viele von uns bedeutet das einen erheblichen Rückgang an sozialen Kontakten. Manch einer mag auf digitale Kommunikation zurückgreifen, anderen hingegen reicht der Kontakt zur Familie oder zu den Mitbewohnern. Fest steht: Wir alle verbringen momentan sehr viel mehr Zeit mit uns selbst, als wir es vermutlich sonst tun würden. Damit kommt aber nicht jeder gleich gut klar – während einige vielleicht sogar den Rückzug und die Ruhe genießen, entsteht bei anderen das Gefühl von Einsamkeit. So verschieden die Auswirkungen der aktuellen Situation sein mögen, so verschieden sind auch die Sichtweisen auf das Alleinsein und den Umgang mit selbigem.

Vorneweg ein Blick in den Duden. „Alleinsein“ wird beschrieben als Fürsichsein; Beisammensein ohne [störende] Dritte. Klingt ja eigentlich sogar ganz positiv: Man wird nicht von anderen gestört. Doch der Duden hält zusätzlich noch eine zweite Definition bereit, nämlich Alleinsein als Verlassenheit, Isoliertheit oder Einsamkeit. Diese zweite Definition trifft wohl eher das, was wir wahrnehmen, wenn jemand vom Alleinsein spricht. Der Begriff ist fast immer negativ konnotiert, sodass wir das Alleinsein in unserem Sprachgebrauch meist der Einsamkeit gleichsetzen. Richtiger wäre es jedoch zu sagen, dass beides zwar miteinander einhergehen kann, aber nicht muss. Denn Einsamkeit beschreibt nach der gängigen Definition einen subjektiv empfundenen Mangel an sozialen Kontakten; oder eine Unzufriedenheit, weil die sozialen Kontakte nicht den eigenen Bedürfnissen entsprechen.

Auch unabhängig von den derzeit geltenden Kontaktsperren ist Einsamkeit ein Problem, das sich durch weite Teile der Gesellschaft zieht. Statistiken beweisen immer wieder, dass sich viele Menschen einsam fühlen, darunter junge wie alte. Zudem zeigen Studien, dass Einsamkeit sich sowohl auf die psychische als auch auf die physische Gesundheit auswirkt, und unter Umständen sogar das Leben verkürzen kann. In Großbritannien hat man deshalb vor zwei Jahren ein Ministerium für Einsamkeit ins Leben gerufen, welches seitdem versucht, Menschen aus der Isolation und der Anonymität zu holen.

Hilflos ausgeliefert ist man der Einsamkeit aber nicht. Man müsse sich bewusster mit dem Alleinsein auseinandersetzen, sagt Dietrich Munz, der Vorsitzende der Bundespsychotherapeutenkammer. Es sei für Menschen immer gesund gewesen, das gute Alleinsein zu beherrschen, denn es diene auch der Regeneration und der innerlichen Klärung von Dingen. Wer regelmäßig das Alleinsein „übe“ und sich hin und wieder in freiwillige Einsamkeit begebe, komme letztlich auch mit unfreiwilliger Einsamkeit besser zurecht. (Welt)

Eine Anregung zur Beschäftigung mit sich selbst bietet der Philosoph Wilhelm Schmid. Er plädiert für Selbstfreundschaft. So wie man sich um gute Freunde sorgt, solle man sich auch um sich selbst sorgen. Das heißt: keine Gleichgültigkeit gegenüber sich selbst zu empfinden, sondern für sich da zu sein, Interesse und Aufmerksamkeit zu schenken. Schmid rät, mit sich selbst „ins Gespräch“ zu gehen und auf die inneren Wünsche, Gedanken und Gefühle zu hören; außerdem auch nicht vor Widersprüchen und Gegensätzen zurückzuweichen, sondern sich aktiv mit diesen auseinanderzusetzen – so wie auch Freunde sich bei verschiedenen Meinungen austauschen würden und versuchen würden, zu einem Kompromiss zu kommen. (gkpn)

In der Philosophie findet man vermehrt positive Perspektiven auf das Alleinsein. Weniger das negative Gefühl der Einsamkeit steht im Mittelpunkt, sondern vielmehr die Möglichkeiten, die das Alleinsein bietet. So sagte zum Beispiel Aristoteles: „Das Glück gehört Denen, die sich selbst genügen.“ Arthur Schopenhauer nahm diesen Gedanken später in seinen Aphorismen zur Lebensweisheit auf und bestätigte: Je mehr jemand „die Quellen seiner Genüsse in sich findet, desto glücklicher wird er sein.“ Der innere geistige Reichtum allein reiche aus, so Schopenhauer, um sich selbst zu unterhalten. Ein geistreicher Mensch habe an seinen eigenen Gedanken und Phantasien genug. Einsamkeit sei Freiheit, sagt er sogar – denn ganz man selbst sein könne man nur, wenn man allein sei. Das heißt für ihn: „Wer […] nicht die Einsamkeit liebt, der liebt auch nicht die Freiheit.“ (dnb)

Ähnlich, aber etwas ambivalenter, formulierte es ein knappes Jahrhundert später Hermann Hesse in seinem Roman Steppenwolf: „Einsamkeit ist Unabhängigkeit, ich hatte sie mir gewünscht und mir erworben in langen Jahren. Sie war kalt, o ja, sie war aber auch still, wunderbar still und groß wie der kalte stille Raum, in dem die Sterne sich drehen.“

Zu guter Letzt: Auch die Musik schreibt Zeilen zum Thema Einsamkeit. Liedtexte als Perspektiven aufs Alleinsein. So schreibt zum Beispiel der Berliner Singer-Songwriter Max Prosa: „Vielleicht bleiben wir stets einsam, sind nur manchmal nicht allein.“
Oder bei der Gruppe Ich kann fliegen heißt es: „Es kommt, es geht und es bleibt, das Gefühl von Einsamkeit. […] Diese Ahnung, nie ganz allein zu sein, auch alleine nie ganz allein zu sein.“
Und auch die Musikerin Desiree Klaeukens besingt das Gefühl der Einsamkeit: „Manchmal ist es wirklich besser, allein zu sein, und manchmal bringt die Entfernung uns näher als ein Bett, das wir uns teilen.“

Foto: E. Kopp / pixelio.de