Die geheimnisvolle Sprache der Fruchtbarkeitssymbole
Der kritische Geist zeichnet den Menschen in seiner Einzigartigkeit aus. Durch die Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen zum Leben und Tod, sowie das Hinterfragen der Bedeutung der ihn umgebenen Welt, bildeten sich im Laufe der Jahrtausende Glaubenssysteme, welche versuchen die Antworten zu diesen Fragen zu liefern. Innerhalb der Glaubenssysteme hat sich eine Sprache von Zeichen und Symbolen herausgebildet, welche bis heute besteht.
Zunächst ist es wichtig, eine Unterscheidung von Zeichen und Symbol durchzuführen. Die Botschaft von Zeichen ist unmittelbar und eindeutig interpretierbar, etwa bei Verkehrszeichen oder Warnhinweisen. Ein Symbol dagegen ist ein visuelles Zeichen oder ein Bild, das für eine Idee steht und auf tiefere, universelle Wahrheiten verweist.
Seit es Menschen gibt, gibt es es auch Symbole für Fruchtbarkeit und Geburt – vom Phallus bis hin zu Schutzheiligen. Alle alten Kulturen hatten Rituale, die die Entstehung neuen Lebens sicherstellen sollten. Die Ägypter verehrten Götter, welche für die Fruchtbarkeit zuständig waren. Im Frühjahr fanden vor allem heidnische Riten statt, die Wiedergeburt und Fruchtbarkeit feierten und auch mit der Entstehung des Christentums verschwanden diese Fruchtbarkeitssymbole nicht – einige sind bis heute noch in Gebrauch.
Fruchtbarkeitsgottheiten
Das Überleben von Gesellschaften ist durch die Geburt von Kindern gesichert. Aus diesem Grund entstanden viele Gottheiten, die für Fruchtbarkeit zuständig waren und je nach Kulturkreis ganz unterschiedliche Ausprägungen besaßen. Min galt als Fruchtbarkeitsgott der Ägypter. Er wurde besonders in der Erntezeit verehrt in der Hoffnung, dass er die Früchte des Feldes segne. Eine reiche Ernte, Regen und die Fruchtbarkeit der Tiere sollte durch seine Verehrung sichergestellt werden. In Abbildungen wurde er stets mit erigiertem Penis dargestellt. Gemäß der griechischen Mythologie galt Priapos als Gott der Fruchtbarkeit. Der Sohn des Dionysos und der Aphrodite galt auch als Beschützer von Vieh und Früchten sowie der männlichen Genitalien. Abbildungen stellten ihn mit einem überdimensionierten erigierten Penis dar. Sowohl bei den Ägyptern als auch bei den Griechen sicherten die Fruchtbarkeitsgötter nicht nur das Fortbestehen von Gesellschaften durch Fortpflanzung, sondern auch die Nahrungsversorgung. Antike Schnitzereien von hinduistischen Göttern stellen die geheimnisvolle Göttin Lajja Gauri dar. Sie wird als ein Torso mit Lotus als Kopf und gespreizten Beinen abgebildet, was sowohl für Geburt als auch sexuelle Verfügbarkeit steht. Sie gilt als die elementare Kraft allen Lebens und ist eine Manifestation von Pavarti, der Gemahlin des Gottes Shiva.
Fruchtbarkeitssymbole
Neben den Schutzheiligen wurden auch bestimmte Pflanzen, Tiere und Gegenstände mit der Fruchtbarkeit in Verbindung gebracht. Das Osterei ist Symbol für die Wiedergeburt, das Leben und die Fruchtbarkeit. Dabei sind viele Symbole zum Osterfest nicht christlicher Herkunft. Der Hase und die Eier z.B. gehen auf alte Fruchtbarkeitsriten im Frühling zurück. Der Name leitet sich vermutlich von Eostre oder Eoastrae ab, dem angelsächsischen Namen einer teutonischen Fruchtbarkeitsgöttin. Der Granatapfel mit seiner Vielzahl an Samenkörnern macht ihn zu einem Symbol für Fruchtbarkeit, Geburt und ewiges Leben. Rituelle Gegenstände wie Gefäße und Zepter werden oftmals in Form eines Granatapfels dargestellt. Auch Kiefernzapfen galten in vielen Kulturen als wirkmächtige Symbole. So sammelten die Kelten Kiefernzapfen für Frauen, die darauf hofften, schwanger zu werden. Diese wurden dann heimlich unter dem Kopfkissen platziert.
Es gibt zahlreiche weitere Symbole. Die Vielfalt ist schier unendlich. Sie beziehen sich auf den Kosmos, den Tod, die Erneuerung und mehr. Symbole bereichern unseren Alltag und wenn wir ihre tiefere Bedeutung verstehen, wird uns die Dualität der Existenz bewusst: Außen und Innen, Tag und Nacht, Leben und Tod. Wer auf die symbolische Bedeutung der Dinge achtet, erhebt sich aus dem Alltag und gelangt zu einem besseren Verständnis seiner selbst. Die Auseinandersetzung mit philosophischen und metaphysischen Fragestellungen ermöglicht hierbei den Zugriff auf universelle Wahrheiten und einer neuen Sicht auf die Welt.
Foto: Bjørn Christian Tørrissen // https://bit.ly/3vuMNpb
Literatur: Harrison, Ian & James; Regan, Sally; Southgate, Anna; Tokeley, Amber: Zeichen & Symbole. Ihre Geschichte und Bedeutung. London, München 2008.