Raunächte

Als ich vor einigen Jahren auf das Thema Raunächte stieß, konnte noch niemand in meinem Umfeld etwas damit anfangen. Nahezu jeder, dem ich begeistert von meiner neuesten Entdeckung berichtete, reagierte skeptisch und machte sich Sorgen, ob ich jetzt wohl in die esoterische Richtung abdriften und mich bald auch mit Astrologie und moderner Hexerei beschäftigen würde. Ja, mir wurde sogar vereinzelt unterstellt, ich würde Dämonenaustreibungen zelebrieren.

Heute haben sich die Raunächte mit ihren alten Bräuchen zu einem regelrechten Trend ausgewachsen. In den Buchhandlungen stehen ganze Aufsteller, auf denen sich ein Ratgeber neben den anderen reiht, dazwischen Raunachts-Räuchermischungen und Stövchen-Startersets. Workshops verkaufen sich für zwei- bis dreistellige Beträge.

Aber was ist das überhaupt und was macht man da? Die Herkunft des Wortes „Raunacht“ ist umstritten. Einige gehen davon aus, dass es auf das mittelhochdeutsche Wort rûch für „haarig“ zurückgehen könnte, im Sinne von Rau(ch)- bzw. Pelzware. Andere bringen das Wort mit dem Räuchern in Verbindung, einem typischen Brauch, bei dem Haus und Hof mit Weihrauch ausgeräuchert werden. Insgesamt gibt es zwölf Raunächte, die sich vom ersten Weihnachtsfeiertag, dem 25. Dezember, bis zum Dreikönigstag am 6. Januar erstrecken. Gelegentlich wird auch die Thomasnacht am 21. Dezember, die Wintersonnenwende, also die Nacht auf den kürzesten Tag des Jahres, als Raunacht dazugezählt.

Nun steht für die meisten von uns kulturell wohl außer Frage, dass Heiligabend und Silvester zwei außerordentlich besondere Nächte im Jahr sind, die es gebührend zu feiern gilt. Aber was ist mit dem Rest der Zeit zwischen den Jahren? Aus der Zeitrechnung nach dem Konzept des Mondjahres ergeben sich in Angleichung an das Sonnenjahr elf sogenannte „tote Tage“ (bzw. zwölf Nächte). Früher glaubte man die Gesetze der Natur in dieser Zeit außer Kraft gesetzt und das Tor zum Jenseits offen. Man fürchtete sich vor der „wilden Jagd“, bei der Gespenster und allerhand unheimliche Kreaturen über die Erde zögen. Aus diesem Aberglauben heraus entstand z. B. der Brauch, in dieser Zeit keine weiße Wäsche aufzuhängen. Auch die bayrisch-österreichischen Pechtenläufe gehen auf die Vorstellung der wilden Jagd zurück, genauso wie das Silvesterfeuerwerk, das die bösen Gespenster verscheuchen sollte. Eine weitere, bis heute erhaltene Tradition, die auf den Raunachtsglauben zurückgeht, ist das Blei- bzw. Wachsgießen als spielerische Form des Orakelns. Allgemein soll die Zeit der Raunächte gemäß der mythologischen Ursprünge mit Fasten und Gebet begangen werden und es soll keine Unordnung im Haus herrschen.

Bis heute haben sich Teile der alten Raunachtsbräuche erhalten, z. T. ohne dass die Menschen ihren genauen Hintergrund kennen. Mich ereilte nach den Feiertagen immer eine Art After-Party-Blues, wenn sich die Familie verabschiedet hatte, kein weiteres Türchen mehr am Adventskalender zu öffnen war und nur noch die übrig gebliebenen Raketenleitstäbe am Straßenrand an das Feuerwerk erinnerten. Seit ich die Raunächte zelebriere, kann ich Nacht für Nacht (und Tag für Tag) ein Stück der Feierlichkeiten fortsetzen.

Mein liebster Raunachtsbrauch, den ich vor einigen Jahren für mich entdeckt habe, ist das Ritual der 13 Wünsche. Hierbei notiert man (bestenfalls am 21. Dezember) 13 Wünsche oder Ziele für das kommende Jahr auf je einen Zettel und faltet diese zusammen. In jeder Raunacht wird dann ein Zettel gezogen und ohne ihn zu lesen verbrannt, am besten zusammen mit ein paar duftenden Weihrauchkörnchen. Ein Wunsch bleibt schließlich übrig und diesen gilt es sich im neuen Jahr selbst zu erfüllen. Alle anderen werden an Gott oder allgemein die höheren Mächte abgegeben. Aus der Psychologie hat sich zur Formulierung von Zielen die SMART-Formel bewährt. SMART bildet dabei ein Akrostichon aus spezifisch, messbar, attraktiv, realistisch und terminiert. So sollten Ziele sein, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, sie auch wirklich zu erreichen. Aus „Ich möchte nächstes Jahr mehr Sport treiben.“ könnte so z. B. „Ich gehe an mindestens vier Tagen pro Woche morgens vor der Arbeit mindestens 3 km joggen.“ werden. Gut aufgehoben ist der letzte Zettel z. B. im Portmonee oder sonst einem Platz, wo man ihn regelmäßig sieht, denn jeder Tag im Jahr ist ein guter Tag zum Anfangen oder Weitermachen.