Waldbaden für Anfänger

Gierige social media-Konsumenten wissen, dass Südostasien berüchtigt ist für seine Innovationen auf dem Schönheits- und Erholungsmarkt. Eines dieser Wellnessangebote ist sowohl gesundheitsfördernd als auch erschwinglich für jedermann: das Waldbaden. Eine Anleitung für Anfänger von Tatjana Schmalz.

Wer im Wald zuvor einfach nur spazieren gegangen oder joggen gewesen ist, hat alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Denn statt die grünen Lungen Deutschlands regelmäßig als Transitraum – wenn auch mit netter Kulisse – für den muskelbetriebenen Standortwechsel zu missbrauchen, sollte der Tann im Land der Wanderlust endlich so genutzt werden, wie es sich für das vor Nihilismus strotzende 21. Jahrhundert gehört: als einen Ort der stillen Einkehr.

Zwar hieß es (und heißt‘s oft noch immer): „Am deutschen Wesen mag die Welt genesen.“ Doch sollte sich der Michel gerade beim sogenannten Waldbaden ein Beispiel an Japan nehmen. Dort wurde nicht nur der achtsame Aufenthalt im grünen Dickicht bis zur Perfektion getrieben, sondern auch als eigenständiger Wissenschaftszweig etabliert.

Eine Literaturliste zur Forschung über das Waldbaden, die Waldmedizin, wird hier (https://mindfulmind.ch/wissenschaft-und-waldbaden/) fortlaufend aktualisiert. Auf den Punkt gebracht: Die kurzfristige Wirkung vom Eintauchen im Hain, unter anderem (Achtung! Bandwurmwörter!) Stressminderung und Wohlbefindenssteigerung, mutet beinahe profan an im Vergleich zu den belegten Langzeitwirkungen wie Immunabwehrverbesserung und Blutzuckerspiegelabsenkung.

Damit auch IHR da draußen in den Genuss dieser entgeltfreien Gesundheitsvorsorge kommt, befolgt 5 einfache Schritte:

  1. Statt den nächsten (sturm)freien Tag im Bett zu verbringen, geht es nach einer ausgiebigen Dusche bzw. einer Katzenwäsche (als low budget-Variante) in die Küche zum Tee kochen. Befindet sich der grüne (!) Tee erst in der Thermoskanne und die mit Minzblättern sowie Zitronenscheiben angereicherte Wasserflasche unterm Arm, geht es erst weiter mit Schritt 2.
  2. Nach erfolgreicher und möglichst CO2-Ausstoß-armer Anreise zu jenem nächstgelegenen Wald, der weder überlaufen ist noch angsteinflößende Menschenleere aufweist, wird eine Runde von beliebiger Kilometerlänge gedreht – allerdings im Schneckentempo. Als Richtwert dient ein Dreivierteltakt des langsamen Walzers PRO SCHRITT. Ist die Geschwindigkeit soweit verinnerlicht, dass die Fortbewegung ohne verbales, Urlaut-ähnliches oder geistiges Anzählen gelingt, ist man reif für Schritt 3.
  3. In dieser Phase verschmilzt der schleichende, weil ca. 1,5 Liter Flüssigkeit transportierende Waldbadende mit seiner ursprünglichen Umwelt. Wie ein lauerndes Raubtier nimmt Schmidtchen-Schleicher (mit den elastischen Beinen) seine Umgebung mit allen Sinnen wahr. Wonach riecht der Wald? In welchen Farben erstrahlt er? Wie klingen seine mobilen sowie mobilitätseingeschränkten Bewohner? Wie fühlen sie sich an? Spätestens sobald sich das unbändige Bedürfnis äußert, auch ihren Geschmack zu prüfen, sollte Schmidtchen aus seiner Trance erwachen und zügig zu Schritt 4 übergehen.
  4. Es wird sachte Platz genommen auf einer einsamen, moosbewachsenen Bank oder auf einem harz-freien Baumstumpf. Während die Eindrücke des transzendentalen Erlebnisses noch nachhallen, holen einen langsame Schlucke vom liquiden Proviant zurück in die Realität.
  5. Ist die Wegzehrung aufgebraucht und/oder beginnt die Blase zu drücken, geht es langsam, aber sicher heimwärts. Auf den letzten Metern ist eine beliebte Fehlerquelle, den Schritt zu beschleunigen – das sollte jedoch erst passieren, sobald die Waldgrenze passiert ist! Daheim angelangt, darf der verbliebene (sturm)freie Tag ganz nach Belieben auf der sonnigen Terrasse, im wohlig warmen Badewasser oder im frischbezogenen Bett verbracht werden.

Und damit viel Freude beim Ausprobieren!

DISCLAIMER: Die dem pyramidalen Aufbau klassischer Dramen (Gustav Freytag) nachempfundenen Ratschläge dieses Beitrags beruhen auf eigenen Recherchen sowie zahlreichen Selbstversuchen der Verfasserin. Sie übernimmt keinerlei Haftung für etwaige Gesundheitsschäden durch deren fehlerhafte oder gar ordnungsgemäße Ausführung. Bei Fragen konsultieren Sie die Person im ärztlichen Dienst ODER die approbierte pharmazeutische Fachkraft Ihres Vertrauens.

P.S.: Sagt man das Wort „Wald“ etwa zehnmal ganz schnell hintereinander, klingt es irgendwann bloß noch wie: „Watt? Watt? Watt?“ Um also zu vermeiden, dass der geneigte Leser am Ende des Beitrags den Wald vor lauter Watte nicht mehr sieht, bemühte ich so viele Synonyme wie nur irgend möglich.

Fotos: Eigene Aufnahmen
Beitrag von: Tatjana Schmalz