Moabit – Das Leben vor Babylon Berlin
Buchtipp
Das Berlin von 1927 ist hellblau und orangefarben. Haben wir es uns die wilden Zwanziger bisher entweder als farblos trist oder gar als verrucht glitzernd vorgestellt, so präsentieren Volker Kutscher und Kat Menschik es uns in „Moabit“ zweifarbig – eben hellblau und orange.
Die Serie „Babylon Berlin“ ist inzwischen weit über die Grenzen Deutschlands bekannt. Sie basiert auf Volker Kutschers Romanreihe um den Kölner Kommissar Gereon Rath. In den Romanen und in der Serie stets an seiner Seite Charlotte „Charly“ Ritter, die Protagonistin von „Moabit“. Kutscher schenkt seiner Protagonistin in „Moabit“ eine eigene Geschichte. Lernen wir Charlotte in den Rath-Romanen als aufgeweckte, fleißige aber auch tanzwütige junge Frau kennen, so erfahren wir hier, welche Schicksalsschläge sie dazu gemacht haben. So nimmt Charlotte, Lotte oder Charly, die Namensgebung anhängig von ihren jeweiligen Lebensabschnitten, mit Vorliebe die Einladung zum Tanz auf dem Vulkan an. Die Brisanz dieser Tänze ebenso wie der ungestüme Mut Charlottes, der schnell in Übermut umschlagen kann, findet sich im aufdringlichen und schrillen Orange der Illustrationen wieder.
In „Moabit“ wird von einem Gewaltverbrechen im Moabiter Gefängnis erzählt, das das Leben von drei Menschen erheblich beeinflusst: Adolf Winkler, Christian Ritter und seine Tochter Charlotte Ritter. Die Geschehnisse und deren Folgen werden aus den verschiedenen Perspektiven dieser drei Charaktere geschildert. Die eigentümliche Verwendung des Präsens in der Erzählung lässt einen auf den ersten Seiten so manches Mal stocken. Das unmittelbare Erleben und die Gleichzeitigkeit, die die Verwendung dieses Tempus erzeugen sollen, mag sich mit der Zeit einstellen. Es ist dennoch ein ungewohntes Leseerlebnis, auf das man sich einlassen kann aber nicht muss. Vielmehr an diesem Werk als Kutschers Text beeindrucken die Zeichnungen von Kat Menschik. Ihr Gestaltungskonzept von der Farbgebung bis hin zum wertig in Leinen gebundenen Umschlag sind vielleicht sogar überzeugender als die Erzählung selbst.
Die Illustratorin hat aus Charlotte Ritters Vorgeschichte nicht nur eine eigene Geschichte gemacht, sonder stellt mit ihren Zeichnungen zusätzlich eine zweite Ebene der Geschichte dar. Anhand der Erzählung und einzelnen Schlagworten lässt sie mittels fiktiver Reklametafeln ganz nebenbei das Leben der 1920er-Jahre wiederauferstehen. Von Zigarettenwerbung, über Gasherdanzeigen und Berliner Kindl wird einmal die Bandbreite der damaligen Realität bebildert. Die Realität der Zwischenkriegsjahre, die die Verfilmung „Babylon Berlin“ so trefflich abbildet, fängt auch Menschik in ihren Illustrationen stilgenau ein.
„Moabit“ – ein haptisch und visuell forderndes Leseerlebnis für alle Fans der 1920er-Jahre, jene Zuschauer von „Babylon Berlin“ (und solche, die das Buch als Einstieg in die Serie nehmen möchten) und Freunde der illustrierten Lektüre.
Weitere illustrierte Bände von Kat Menschik, u.a. zu Shakespeares „Romeo und Julia“ und Kafkas „Ein Landarzt“ sind bei Galiani erhältlich.
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