Die Sache mit der Heimat
Manchmal komme ich ins Straucheln, wenn ich anderen erkläre, warum ich nach Frankfurt am Main gezogen bin und nicht in meinem Geburtsort, oder zumindest in der Region, geblieben bin. „Das ist jetzt quasi meine, ähm, Heimat – Wahlheimat.“ Doch schon häufiger habe ich mich gefragt: Was ist Heimat? Ist das eine Stadt? Ein Wohnort? Da, wo ich am liebsten bin? Und wieso benötigen wir dafür eine Definition?
Zunächst mal die Fakten vorab: Der Begriff Heimat entsprang aus dem germanischen und indo-germanischen und bedeutete ursprünglich „Wohnrecht mit Schlafstelle im Haus“. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurde es ausschließlich im juristischen oder geographischen Kontext genutzt, insbesondere in Verbindung mit dem Aufenthalts- oder Bleiberecht. Es war ein Privileg, „Heimat“ zu haben, denn durch den „Heimatschein“ erhielt man damals einen Anspruch auf die notfürftige Versorgung öffentlicher Kassen. Außerdem durfte man ohne diesen Schein nicht heiraten.
Der Duden schreibt dem heutigen Wort zwei Bedeutungen zu. Zum Einen beschreibt es das „Ursprungs-, Herkunftsland eines Tiers, einer Pflanze, eines Erzeugnisses, einer Technik o. Ä.“, zum Anderen ein „Land, Landesteil oder Ort, in dem man [geboren und] aufgewachsen ist oder sich durch ständigen Aufenthalt zu Hause fühlt“.
Laut Wortdefinition ist Heimat also eine spezifische Ortsangabe. Heutzutage gibt es natürlich mehr Sichtweisen, die emotionale und kulturelle Werte mit aufgreifen und Forschende, die sich mit der Bedeutung des Wortes „Heimat“ auseinander setzen. Doch trotz aller Definitionen finde ich, dass Heimat etwas sehr individuelles sein kann.
Ich habe für den Ort, in dem ich aufgewachsen bin, nur wenig Heimatgefühle. Ich fühle mich mit den Traditionen und Gepflogenheiten wenig vertraut. Die weiterführende Schule habe ich damals nicht in meinem Wohnort, sondern in der nächstgrößeren Stadt besucht. Dadurch hat mein Leben, durch Freunde, Interessen und Freizeitaktivitäten fast ausschließlich in dieser Stadt stattgefunden. Nach meinem Abitur stand für mich fest, dass ich wegziehen werde. Wohin innerhalb Deutschlands, das war fast egal. Nie habe ich diesen Schritt bereut, wo mir Frankfurt als Destination doch um einiges mehr bieten kann als das verschlafene Städtchen, dass sich meine Herkunft nennt. Nach einigen Jahren in anderen deutschen Städten hat es mich schließlich wieder nach Frankfurt gezogen. Warum? Weil es sich hier nach „zuhause“ an fühlt. Ist es aber deshalb meine geographisch gesehene (Wahl-)Heimat? Schwierig. Sollte ich hier wegziehen, verliere ich dann meine Heimat? Für mich hat der Begriff „Heimat“ daher einen hohen emotionalen Wert. Für mich ist das da, wo ich mich wohl und eben daheim fühle. Das kann prinzipiell dort sein, wo ich geboren und aufgewachsen bin, ist es in meinem Fall aber nicht. Ich möchte es auch von dem geographischen Aspekt lösen. Wo ich mich wohlfühle, ist an keine Koordinaten gebunden. Es kann auch ein Geruch sein, die Umarmung des Partners oder das Lachen von geliebten Menschen.
Wenn mich also jemand fragt, wo ich wohne, dann sage ich Frankfurt. Wenn mich jemand fragt, wo ich herkomme, dann nenne ich das Städtchen, in dem ich zur Schule gegangen bin und meine Freizeit verbracht habe. Und wenn mich jemand fragt, was meine Heimat ist, dann zeige ich auf mein Herz und sage „in mir“.
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