„Armestrische“ Alchemie in existenzieller Auseinandersetzung

Hiromu Arakawas Fullmetal Alchemist

Es nimmt nicht wunder, dass ein Gros der aufgeklärten Gesellschaft die Alchemie mit gewissem Argwohn betrachten mag: Immerhin steht diese Jahrhunderte zurückreichende „Wissenschaft“ über die Verfasstheit und Transformation von Substanzen für Okkultismus, riskante Experimente und ein gehöriges Maß an eigenbrötlerischem Eremitendasein. Abgesehen von diesen Vorurteilen, die zweifelsohne mit Blick auf den heutigen Entwicklungsstand zutreffend sind, bietet die Alchemie, ihr semantisches Feld und narratives Potenzial einen verheißungsvollen Stoff für Geschichten, die sich ihr unter gänzlich anderen Rahmenbedingungen annähern, als es dieser Tage oder im vermeintlich dunklen Mittelalter der Fall gewesen sein mag. Genau diese Annäherung unternehmen der 2001–2010 erschienene Manga Fullmetal Alchemist von Hiromu Arakawa und die empfehlenswerte Adaption im Anime Fullmetal Alchemist: Brotherhood, 2014–2015 auf Deutsch veröffentlicht.

Wie die Protagonisten-Brüder Edward und Alphonse Elric schon früh einsehen müssen, folgt die Alchemie, wie sie in ihrem Heimatland Amestris praktiziert wird, gewissen Regeln, deren Bruch harte Strafen nach sich zieht: So darf – neben dem Verbot, Gold herzustellen – unter keinen Umständen ein Mensch geschaffen oder wiedererweckt werden. Als Edward und Alphonse sich dem widersetzen, es trotzdem versuchen und ihre verstorbene Mutter transmutieren wollen, finden sich beide mit dem Verlust ihrer ursprünglichen Körper pönalisiert. Edward verliert zwei Gliedmaßen, die er durch sogenannte Automail-Prothesen ersetzt, und Alphonse muss fortan als an eine Ritterrüstung geheftete Seele sein Dasein fristen. Beide eint ihr sehnlicher Wunsch, die alten Körper zurückzuerlangen, deren sie infolge ihres verwegenen Experiments beraubt worden sind.

Dass sie auf der Reise zu ihrem Ziel indessen die Fundamente des gesamten Landes infrage gestellt sehen müssen, offenbart sich ihnen erst langsam: Der kriegerische Militärstaat Amestris beschäftigt sogenannte Staatsalchemisten, zu denen auch Edward gehört, und übt so die vollständige Kontrolle über die in Kampfkraft umsetzbare Alchemie aus. Es zeigt sich, dass gerade diese Machtfülle, welche im obersten Anführer Bradley kulminiert, auch finsteren Zwecken nicht abhold ist. Edward und Alphonse ergründen in einer kleinen Gruppe treuer Anhänger die Tiefen dieses Mysteriums und der mit ihm verbundenen seltsamen Ereignisse. Dabei werden sie wieder und wieder an ihre Grenzen geführt sowie nicht zuletzt zu der Einsicht genötigt, dass das gesamte Land mitsamt dem Leben seiner Bürger auf dem Spiele steht. Es entspinnt sich ein existenzieller Kampf mit den Homunculi, den gleichsam unsterblichen Widersachern und durch Alchemie ins Leben gerufenen Geschöpfen, über die schließlich auch das Verbleiben des Vaters beider Brüder – Van Hohenheims – aufgeklärt wird.

Fullmetal Alchemist: Brotherhood (64 Folgen in üblicher Anime-Länge) zeichnet sich durch eine große Nähe zum Manga aus und gibt so die diesem Medium anhaftende, strategische Dynamik und narratologische Eleganz auf besondere Weise zu erkennen. Nicht nur die sukzessive Entschlüsselung eines alle Handlungsstränge verknüpfenden und immer tiefer reichenden Geheimnisses der Alchemie macht den Reiz der Geschichte aus, sondern auch die Vielfalt der über sie gestärkten freundschaftlichen und humanistischen Werte – ohne dass alles dabei der passenden Dosis Humor verlustig ginge. Für ein Publikum, das anspruchsvolle Rätsel ebenso schätzt wie umfassend elaboriertes Worldbuilding und über die Handlung hinausreichende Konsequenzen für unsere Reflexionspraxis, ist Arakawas Werk demgemäß anstandslos zu empfehlen.

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