Sprache und Perfektion – ein Plädoyer für mehr Nachsicht

„I come here as a truly European by heart.“ So lautete eine von Annalena Baerbocks Aussagen während ihrer Antrittsrede in Brüssel als neue Außenministerin. Die Rede ging Baerbock gut über die Bühne, ihre Worte waren verständlich. Die Tage darauf hagelte es trotzdem Kritik, denn: „Oh Gott, dieser deutsche Akzent!“ „Die will ihr Masterstudium in England absolviert haben?“ „Klingt eher nach Hauptschulenglisch…“ Offenbar war Sprach-Deutschland nicht zufrieden. Doch wieso eigentlich? Wo liegt das Problem darin, dass eine deutsche Politikerin beim Englischsprechen einen deutschen Akzent aufweist?

Es ist nicht das erste Mal, dass Annalena Baerbock für ihre Sprache kritisiert wird. Erinnern wir uns an den Wahlkampf vor der Bundestagswahl zurück. Kurz nach ihrer Nominierung zur Kanzlerkandidatin erschienen Videos, die kleine Versprecher in ihren Reden oder Statements zusammenschnitten. Faktisch lässt sich da auch gar nichts gegen einwenden: Wer die Sprache verschiedener Politikerinnen und Politiker miteinander vergleicht, wird in der Tat zu dem Schluss kommen, dass Annalena Baerbock sich häufiger mal verhaspelt. Vertauschte Buchstaben, durcheinandergebrachte Wörter, falsche Vorsilben… Und ja: Da darf man auch gern mal drüber schmunzeln. Wörter wie „erwickeln“ oder „emonotial“ sind lustige Versprecher, genauso wie die Aussage „Wenn wir nur mal auf die Grundschauen schulen(…)“.

Wenig später der nächste sprachliche Fehltritt: Ihr entfuhr das Wort „Scheiße!“, als sie nach ihrer Rede auf dem Bundesparteitag der Grünen die Bühne verließ. Sie hatte nicht gewusst, dass ihr Mikro noch angeschaltet war. Im Nachhinein klärte sie auf, weshalb sie sich geärgert hatte: Statt von „Feinden der liberalen Demokratie“ sprach sie versehentlich von „liberalen Feinden“.

Und nun der Auftritt als Außenministerin mit einem Englisch, das für viele zum Fremdschämen schlecht klang. Auch hier sei vorab eingeräumt: Es stimmt, dass Annalena Baerbock keine perfekte Aussprache des Englischen beherrscht. Das th funktioniert nur mäßig gut, ihr Englisch enthält recht viele Ähm-Laute, geht ihr weniger flüssig von den Lippen als ihre Muttersprache, und ja – ihr Akzent klingt tatsächlich sehr deutsch. Da es aber vielen nicht bewusst zu sein scheint, sei hier nochmal erwähnt: Aussprache, Wortschatz und Grammatik sind drei verschiedene Dinge. Jemand kann eine akzentfreie Aussprache haben und dennoch Fehler im Satzbau machen oder sich missverständlich ausdrücken. Andersherum ist es genauso möglich, einen großen Wortschatz zu haben und grammatische Regeln zu beherrschen, ohne aber über eine perfekte Aussprache zu verfügen.

Bei Annalena Baerbock ist eher letzteres der Fall. Sie spricht mit hörbar deutschem Akzent, inhaltlich und grammatisch gibt es an ihrer in Brüssel gehaltenen Rede jedoch nicht viel auszusetzen. Der eingangs erwähnte Satz „I come here as a truly European(…)“ ist zwar in der Form nicht ganz korrekt, dafür aber der einzige Fehler. Von englischen Muttersprachlern gab es sogar Lob für ihre sprachlichen Ausdrucksfähigkeiten. Baerbocks Englisch sei zwar „nicht perfekt, aber perfekt verständlich“, schreibt Journalist Thomas Sparrow. Auch CNN-Korrespondent Frederik Pleitgen kommentierte: „Sieht für mich aus wie außergewöhnlich gutes Englisch.“

Annalena Baerbock ist Deutsche, sie ist mit der deutschen Sprache aufgewachsen. Deshalb hat sie einen deutschen Akzent, wenn sie Englisch spricht. Wie so viele andere Deutsche eben auch, wenn sie Englisch sprechen. Diese Fixierung auf den Akzent einer Person erschließt sich mir einfach nicht, zumal sich die deutsche Sprachgemeinschaft besonders deutschen Akzenten gegenüber oft urteilend zeigt. Auch das Argument, dass Baerbocks Englisch nach ihrem Masterstudium in England besser klingen müsste, erscheint mir nicht gerechtfertigt. Es gibt Menschen, die ihren Akzent schnell ablegen können, es gibt aber genauso Menschen, die nach 20 Jahren im Ausland noch immer mit starkem Akzent sprechen. Beim Erlernen von Fremdsprachen ist es in meinen Augen grundsätzlich so, dass immer zwei Aspekte eine Rolle spielen: Talent und Fleiß. Nicht jedem ist die Gabe zum Sprachenlernen in die Wiege gelegt, vor allem nicht die Fähigkeit, sich Sprachen akzentfrei anzueignen – und das ist vollkommen okay. Die Hauptsache ist doch, dass man einander versteht.

Auch wenn es schwierig ist, sollten Regierungskompetenz und sprachliche Ausdrucksfähigkeit differenziert voneinander betrachtet werden können – was keineswegs bedeuten soll, dass sprachliche Ausdrucksfähigkeit unwichtig wäre. Mir persönlich werden in der Wahrnehmung von Annalena Baerbock jedoch zu viele Kleinigkeiten fixiert, die sich auf äußerliche Aspekte beschränken. Es soll in diesem Beitrag gar nicht um eine Bewertung Baerbocks politischer Äußerungen gehen. Sondern vielmehr wünsche ich mir einfach nur, dass wir Politikerinnen und Politiker als ganz normale Menschen sehen können, die eben auch mal „Scheiße!“ sagen dürfen, wenn sie sich über etwas ärgern. Es spricht doch immerhin im Fall von Annalena Baerbock dafür, dass sie sich selbst reflektiert und ihre eigenen Fehler wahrnimmt. Nur weil jemand in der Öffentlichkeit steht, muss nicht alles perfektioniert sein.

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